Der Blick in den Spiegel
war dieser Tage niederschmetternd. Eine ästhetische Zumutung,
was einem da im Badezimmer begegnete: Der talgige Truthahnhals,
das gummiartige Doppelkinn, die Augenhaut schlaff und talgig
wie die Pelle einer ausgedrückten Leberwurst, kahle Flecken
auf dem Schädel, tiefe Schützengräben um die Mundwinkel, die
Wangen bis zu den grau melierten Schultern herabhängend. Von
der Flasche Rosé allein konnte das nicht herrühren, immerhin
hatte der Edeltropfen fast zwei Euro den Liter gekostet. Nein,
es musste etwas anderes mit meinem Körper geschehen sein. Etwas
Böses, Hässliches.
Wütend wische ich
den Q10-Tiegel von der Ablage, feuerte die Botox-Spritzen, die
Antioxidantien, Östrogentropfen und Papaya-Enzyme in die Toilette,
spülte beherzt, schritt zum Balkon, blickte auf die trist umwölkte
Strasse, auf der ein Toyota vorschriftsmässig bremste, und stellte
mir zum ersten Mal in meinem Leben diese Fragen: Wer bin ich?
Wohin führt mich mein Weg? Wo, zum Teufel, ist dieser Sommer
geblieben? Was wird die Welt von mir denken, wenn im nächsten
Augenblick das Goggle-Mobil vorbeifährt und mich in diesem bemitleidenswerten
Zustand fotografiert? Und würden die wenigstens einen Weichzeichner
verwenden? Ich strich mir sanft mit kerisenden Bewegungen über
die nervös zuckenden Tränensäcke. SIe fühlten sich sehr pixelig
an.

Was
für eine Horrorwoche. Ständig war das geriatrische Ächzen der
Jahre zu vernehmen, flossen die Stunden und Minuten träge ab
wie herbstbraunes Wasser im flachen Land. Überall roch es nach
falscher Jugend. DIe atomaren Laufzeiten liessen sich, so konnte
man lesen, wieder künstlich verlängern wie das trügerische Haar
von Paris Hilton, während für den altersschwachen David Beckham
keine Verlängerung mehr im A-Team möglich schien. Eine Studie
attestierte uns heimischen Akademikern mangelhafte Bewegungslust
und frühes Altersleid, während draussen durchtrainierte, hoch
qualifizierte und blutjunge Zuwanderer unsere Arbeitsplätze
und Töchter begehren. Zum Trost lege ich etwas Todessehnsüchtiges
in den CD-SPieler ein: Das Bach'sche Himmelfahrtsoratorium.
Doch der Apparat tat wie ein Stuttgarter Pfeifkonzert, ein Tunnelfahrtsmoratorium.
Nichts geht mehr. Alles welkt.
Dabei
wollte ich ewig schön sein, for ever young und dauertough. So
wie Karl-Theodor zu Guttenberg, dieser Schlankmacher der Bundeswehr.
Oder Iris Berben. Die schrieb einmal vor vielen Jahren in ihrem
Ratgeber "Äler werde ich später", sie wolle eine "unkonventionelle
Alte" werden. "Meine Hoffnung ist es", so die
TV-Göttin der Glattheit, "dass ich es schaffe, mit mir
alt zu werden, so wie ich bin." Berben hat es geschafft,
60 zu sein und auszusehen wie zwei schlappe 30-Jährige mit sich
selbst multipliziert. Ich aber war Ende dreissig und sah so
aus wie ein unkonventioneller Rentner mit 67, ein substrahiertes
Mischwesen: Halb Sigmar Gabriel, halb Jopi Heesters.
Am
Ende stand ich wieder auf dem Balkon mit meinem Alter Ego, wartete
auf die Google-Spammer und liess mir den kalten Starkregen ins
zerfurchte Gesicht prasseln. Wasser soll ja Wunder bewirken.
In der Landwirtschaft. Und im Badezimmer sowieso.
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