Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (15. August 2010)
 
Alter nach Schönheit
   

   Der Blick in den Spiegel war dieser Tage niederschmetternd. Eine ästhetische Zumutung, was einem da im Badezimmer begegnete: Der talgige Truthahnhals, das gummiartige Doppelkinn, die Augenhaut schlaff und talgig wie die Pelle einer ausgedrückten Leberwurst, kahle Flecken auf dem Schädel, tiefe Schützengräben um die Mundwinkel, die Wangen bis zu den grau melierten Schultern herabhängend. Von der Flasche Rosé allein konnte das nicht herrühren, immerhin hatte der Edeltropfen fast zwei Euro den Liter gekostet. Nein, es musste etwas anderes mit meinem Körper geschehen sein. Etwas Böses, Hässliches.

   Wütend wische ich den Q10-Tiegel von der Ablage, feuerte die Botox-Spritzen, die Antioxidantien, Östrogentropfen und Papaya-Enzyme in die Toilette, spülte beherzt, schritt zum Balkon, blickte auf die trist umwölkte Strasse, auf der ein Toyota vorschriftsmässig bremste, und stellte mir zum ersten Mal in meinem Leben diese Fragen: Wer bin ich? Wohin führt mich mein Weg? Wo, zum Teufel, ist dieser Sommer geblieben? Was wird die Welt von mir denken, wenn im nächsten Augenblick das Goggle-Mobil vorbeifährt und mich in diesem bemitleidenswerten Zustand fotografiert? Und würden die wenigstens einen Weichzeichner verwenden? Ich strich mir sanft mit kerisenden Bewegungen über die nervös zuckenden Tränensäcke. SIe fühlten sich sehr pixelig an.



   Was für eine Horrorwoche. Ständig war das geriatrische Ächzen der Jahre zu vernehmen, flossen die Stunden und Minuten träge ab wie herbstbraunes Wasser im flachen Land. Überall roch es nach falscher Jugend. DIe atomaren Laufzeiten liessen sich, so konnte man lesen, wieder künstlich verlängern wie das trügerische Haar von Paris Hilton, während für den altersschwachen David Beckham keine Verlängerung mehr im A-Team möglich schien. Eine Studie attestierte uns heimischen Akademikern mangelhafte Bewegungslust und frühes Altersleid, während draussen durchtrainierte, hoch qualifizierte und blutjunge Zuwanderer unsere Arbeitsplätze und Töchter begehren. Zum Trost lege ich etwas Todessehnsüchtiges in den CD-SPieler ein: Das Bach'sche Himmelfahrtsoratorium. Doch der Apparat tat wie ein Stuttgarter Pfeifkonzert, ein Tunnelfahrtsmoratorium. Nichts geht mehr. Alles welkt.

   Dabei wollte ich ewig schön sein, for ever young und dauertough. So wie Karl-Theodor zu Guttenberg, dieser Schlankmacher der Bundeswehr. Oder Iris Berben. Die schrieb einmal vor vielen Jahren in ihrem Ratgeber "Äler werde ich später", sie wolle eine "unkonventionelle Alte" werden. "Meine Hoffnung ist es", so die TV-Göttin der Glattheit, "dass ich es schaffe, mit mir alt zu werden, so wie ich bin." Berben hat es geschafft, 60 zu sein und auszusehen wie zwei schlappe 30-Jährige mit sich selbst multipliziert. Ich aber war Ende dreissig und sah so aus wie ein unkonventioneller Rentner mit 67, ein substrahiertes Mischwesen: Halb Sigmar Gabriel, halb Jopi Heesters.

   Am Ende stand ich wieder auf dem Balkon mit meinem Alter Ego, wartete auf die Google-Spammer und liess mir den kalten Starkregen ins zerfurchte Gesicht prasseln. Wasser soll ja Wunder bewirken. In der Landwirtschaft. Und im Badezimmer sowieso.
 

 

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