Wie Gauck fast gewählt worden wäre
Neun
Stunden sind eine lange Zeit. Wahlen können ermüden. Neulich
in der Bundesversammlung. Der dritte Wahlgang läuft. Aufgerufen
werden die Wahlmänner und -frauen mit den Buchstaben N.
Neumann, Niebel, Nüßlein ... Angela Merkel war schon dran. Jetzt
sitzt sie in einem Rückzugsraum im Bundestag. Es ist schummrig,
monoton murmelt es aus dem Fernseher, Ott, Otte, Otto ... Die
Augenlider werden schwer. Die Kanzlerin schläft ein. Aber wer
kann in einer solchen Lage ruhig schlafen? Schemen steigen auf,
Stimmen melden sich, Bilder scheinen greifbar nah. Das Protokoll
eines Albtraumes:
"Frau Merkel!"
Eva Christiansen, die Kanzlervertraute, stubst die Schlafende
vorsichtig an. "Watt denn?!" - "Keine gute Nachrichten,
Frau Merkel ..." Merkel kommt zu sich. "Wieso? Ach,
Gott, ist Westerwelles FDP wieder über fünf Prozent geklettert?"
- "Nein, nein, es geht um Gauck. Er ist gewählt worden
- er ist neuer Bundespräsident."
Merkel
ist noch schlaftrunken. "Hm, gut, ist doch ein netter Kerl,
hab ich eigentlich immer gemocht. Der ist jetzt Präsident? Klasse!"
- "Aber Frau Merkel!" Christiansen rüttelt ihre Chefin
am Arm. "Erinnern Sie sich, unser Kandidat ist doch Christian
Wulff. Der ist durchgefallen, eine politische Katastrophe"
Für ihn und für Sie."
Da geht
die Tür auf, und Roland Koch poltert herein. "Bestrafen!
Brutalstmöglich bestrafen! Da gibt es keine Gnade." - "Ja",
sagt Merkel, "daran habe ich auch schon gedacht. Man sollte
Westerwelle ein paar Auslandsflüge ..." - "Wieso Westerwelle?",
fragt Koch. "Die Abweichler sind welche von uns."
CSU-Chef
Horst Seehofer platzt herein. "Angela, wirklich, das tuat
ma leid:" - "Horst, warum lächelst du so?", fragt
die Kanzlerin. "Ich. äh, nein, nein, i bin ganz am Boden
zerstört. Des is jetzt sicher sehr schlimm für dich." -
""Doch!" - "Angela?" - "Doch,
du lächelst" - "Ich darf dir versichern, dass die
CSU geschlossen, hihi, hinter dir steht."
Eva
Christiansen schaltet sich ein. "Frau Bundeskanzlerin,
der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy möchte Sie
sprechen. Wir haben eine Schaltung mit Videobild aufgebaut."
Merkel begibt sich unmutig an den Schreibtisch, schraubt die
Mundwinkel nach oben und begrüsst den entspannt wirkenden Franzosen.
"Bonjour Nicolas, ca va?" "Angela, isch darf
dir versichern, dass isch sähr ..:" - "Nicolas?"
- "Oui, Angela?" - "Warum lächelst du?"
- "Mais non, isch ..." Die Bildleitung ist kurz unterbrochen.
Als sie wieder steht, trägt Sarkozy eine schwarze Krawatte.
"Wirklich, je suis desolé. Aber isch abe einen Rat."
- "Und?" - "Komm wieder zum nächsten EU-Gipfel,
da ast Du mähr Spass. Du setzt disch auch nicht dursch, aber
man merkt es nischt so ..." - "Merci, Nicolas, du
bist ein Freund."

Bei
diesem Stichwort tritt Guido Westerwelle auf. "Angela,
ich habe nachgedacht, wir kriegen das mit der Steuersenkung
hin, wenn ..." - "Herr Westerwelle", unterbricht
ihn Christiansen. Der lässt sich nicht unterbrechen. "...
wir zunächst den Spitzensteuersatz reduzieren, dann ..."
Merkel blickt Koch flehentlich an. "Siehst du, Roland,
das mit den Auslandsflügen sollten wir weiterverfolgen."
Während Westerwelle bei der Abgeltungssteuer angekommen ist,
klingelt das Telefon. Merkel geht ran. "Hallo Schatz. Nein,
Joachim ... Ja, tut mir leid ... Ich weiss, dass man es nicht
kalt essen kann, aber ich kann jetzt nicht ... Nein. Nicht jetzt.
NICHT JETZT!! Wie bitte? Ja, ich dich auch."
Frau
Christiansen räuspert sich. "Frau Bundeskanzlerin, Sie
hatten für diese Uhrzeit auch noch ein Telefonat mit Jürgen
Rüttgers vereinbart." Während die Verbindung hergestellt
wird, sieht man auf dem TV-Gerät im Hintergrund Joachim Gauck.
Seehofer dreht den Ton lauter und wendet sich zum Bildschirm,
froh, das Steuergemurmel Westerwelles nicht mehr zu hören. Gauck
spricht von der Bürgergesellschaft. "Die Bürger wollen
den Staat selbst gestalten, sie sind kritisch, wenn es um Privilegien
von Politikern geht, und ..."
Da
meldet sich Rüttgers. "Ach, Angela, gut dass ich dich sprechen
kann. Du, da ist etwas völlig falsch rübergekommen." -
"Schon gut, Jürgen. Ich habe gewusst, das mit dem Dienstwagen
war nicht so gemeint." - "Genau. Wie schön, dass du
es schon geahnt hast. Natürlich will ich den Wagen nicht für
fünf Jahre - sondern lebenslänglich. Und eigentlich sollten
dann meine Kinder ..." "Jürgen!"
"Richtig,
ich habe vergessen: Der Fahrer, der sollte mir auch im Haushalt
helfen dürfen. Ich müsste da unbedingt die Mauer in meinem Ferienhaus
durchbrechen ..." "Jürgen, wir haben gerade die Bundespräsidenten-Wahl
verloren." - "Gut, wird da nicht ein Wagen frei?"
Das Gespräch endet abrupt. Westerwelle ist bei der Abschaffung
der Erbschaftsteuer angekommen, Seehofer unterdrückt einen Lachanfall,
Koch wetzt ein Taschenmesser an der Tischkante von Merkels Schreibtisch.
Christian
Wulff kommt. Westerwelle stürzt sich auf ihn. "Herr Wulff,
finden Sie nicht auch, dass eiune grundlegende Steuerreform
..." Wulff geht auf Merkel zu. "Man kann aus Niederlagen
so viel lernen, glaub mir, ich weiss das genau." - "Ach
ja?", sagt Merkel ein bisschen zu spitz. "Was denn?"
- "Dass sie nicht gut sind. Dass sie schmerzen. Dass man
plötzlich ganz alt aussieht. Dass man eigentlich nur noch zurücktre..."
- "HERR WULFF!!" Christiansen wirkt erregt. Wulff
ist einsichtig. "Sicher, still, kein Wort mehr. Ich bin
ja auch kein Alphatier. Ich wollte ja nur vermitteln."
Westerwelle fordert jetzt Einsparungen. "Ja, do fangma
gleich bei der FDP an." Seehofer lächelt. "Die kamma
sich ganz sparn." Roland Koch wirft sein Taschenmesser
an die Stirnwand des Zimmers, wo es zitternd stecken bleibt.
Joachim Gauck ist beim Thema Versöhnung angekommen. "Nie
darf Politik Gräben offen lassen, immer muss sie Brücken bauen,
der Freiheit eine Chance geben ..:"
Draussen
heult ein Motor auf. Rüttgers steigt aus. "Rüttgers, Rüddel,
Ruppert." Die Abstimmung läuft. "Frau Merkel, der
dritte Wahlgang ist bald beendet", sagt Frau Christiansen.
"Oh", sagt Merkel, "ich muss eingedusselt sein."
Dann scheint sie noch ein wenig ihrem Traum nachzuhängen. "Wirklich",
sagt sie, "wir sollten Wulff wählen. Ach, und bitte geben
sie mir die Liste mit Westerwelles Auslandsflügen."
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