Die Hauptstadt
der Gefühle
Mal ehrlich: Sie haben
doch auch gedacht, Berlin sei Deutschlands Hauptstadt, oder?
Sorry, dann haben Sie falsch gedacht. Berlin ist wie Horst Köhler.
Vom märkischen Sand verschluckt. Futsch. Die Stadt existiert
einfach nicht mehr. Hat womöglich nie existiert. Die Hauptstadt
Berlin war nur eine politische Wahnvorstellung. Ergebnis
der kollektiven Mauerfallpsychose. Und basta.
Deutschlands
wahre Hauptstadt ist - Hannover. Sie wissen schon, Kennzeichen
H, Postleitzahlen 30159 bis 30669, Vorwahl 0511. Fällt es Ihnen
jetzt auch wie Schuppen von den Augen? Sehen Sie Lena vor sich?
Und Christian Wulff? Na endlich. Hannover, die neue Hauptstadt
der Gefühle. Aber wie fing das alles an? Wann und weshalb
wurde diese Stadt, die viele nur von den Ausfahrtschildern an
A2 und A7 kennen, so wichtig für den emotionalen Haushalt des
Landes, dass es schon unheimlich ist?
Vielleicht
mit Robert Enke. Der Fussballtorwart von Hannover 09 würde heute
zur WM nach Südafrika fliegen, wenn er sich nicht vor den Zug
geworfen hätte. Enke war schwer depressiv, was kaum jemand ahnte,
und ein feiner Kerl, nicht nur auf dem Rasen. Sein Selbstmord
wurde zum gesamtdeutschen Trauerspiel. Ein Drama, das
auch auf seinen Schauplatz Hannover abfärbte. Es gab der Stadt
in der norddeutschen Tiefebene noch mehr Tiefe. Igendwie.
Dann
die Sache mit Margot Käßmann. Nächtliche Alkoholfahrt im Dienstwagen
und so weiter. Käßmann trat als Ratsvorsitzende der Evangelischen
Kirche in Deutschland und als Landesbischöfin von Hannover zurück.
Das war ebenfalls tragisch, zeigte aber zugleich Grösse. Niemand
hatt sie gedrängt, Käßmann ging aus Eigenverantwortung. Ganz
Deutschland zollte ihr Respekt. Der Eichstrich für Amtsträger,
die gefehlt haben, liegt jetzt höher.

Aber
diese Stadt kann auch anders. Da sind nicht nur Schwermut, Tragik
und Leid. Da ist auch die unverschämte Leichtigkeit einer 19-Jährigen,
in die sich, ohne jede deutsche militärische Nachhilfe, ganz
Europa verliebt hat. Vor ein paar Wochen erst baute Lena an
der Integrierten Gesamtschule Roderbruch Hannover ihr Abitur.
Ein hübsches Mädchen aus einer deutschen Grossstadt, so wie
viele. Jetzt ist sie das singende Fräuleinwunder, und,
verdammte Axt, man fragt sich, was das für ein Boden ist, auf
dem dieses süsse Pflänzchen so prächtig gedeihen konnte.
Schliesslich
Christian Wullf. Okay, der ist nicht so niedlich wie das kleine
Schwarze. Lebt und arbeitet aber auch in Hannover. Wulff liegt
gefühlsmässig irgendwo zwischen Enke und Lena. Ausserdem spricht
er Hochdeutsch, man versteht ihn überall im Land. Weil
er auch sonst ziemlich mittelmässig ist, darf er Bundespräsident
werden. Anstelle von Ursula von der Leyen, ebenfalls Hannover,
die einigen katholischen Herren in der Union ein bisschen zuviel
Lena war oder Käßmann oder überhaupt.
Kommen
wir zum Schluss. Hannover ist die Stadt der Stunde. Noch
Fragen? Lassen Sie sich bloss nicht irritieren von der Tatsache,
dass der Autor verheiratet ist mit einer Frau aus - sie wissen
schon. Hannover, das ist eben reine Gefühlssache.
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