Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (23. Mai 2010)
 

Absolute Leere


   Diese Woche lieferte wieder frappierende Beweise für die Existenz Schwarzer Löcher, deren Beobachtung oft angezweifelt wurde. Lange Zeit herrschte über den Ursprung des Begriffs "Schwarzes Loch" Uneinigkeit. Immer wieder wurden Stammleser dieser Kolumne mit weit aufgerissenen Schlünden beobachtet, was Hobby-Astronomen zu dem Irrtum verleitete, die kariösen Verdunklungen mit einem der mysteriösesten galaktischen Phänomene  seit der grausamen Entdeckung von Thomas Gottschalks Kleiderschrank vor sechzig Jahren zu verwechseln. Wahr ist, dass die Bezeichnung nicht vom ZDF, sondern von dem deutschen Schwerkraft-Physiker Helmut Kohl erfunden wurde, wobei sich schwarz (CDU) sich darauf bezieht, dass dass ein unendlich tiefes Koalitionsloch ("Saumagen-Theorem") durch seine extrem hohe Massendichte irgendwann kein gelbes Restlicht (FDP) ausstrahlt. Als historisch verbürgter Zeitpunkt der Erstbeobachtung eines gigantischen Schwarzen Loches gilt aber seit einigen Tagen das einstige fehlberechnete Andocken des griechischen Traumschiffs "Kenterpreis" an der interstellare Eurostation.



   Ein Schwarzes Loch ist ein gieriges Objekt, das nur eines im Sinn hat, seinen unglaublichen Appetit nach Energie und Materie zu stillen. Sein Zentrum ist eine Raum-Zeit-Singularität, das heisst, dort schrumpfen wie in einem Hedgefonds Zeit und Raum auf einen schmatzenden mathematischen Punkt zusammen. Sie besitzen keine Ausdehnung mehr. Es herrscht die absolute Leere. Eine begehbare Simulation dieses Spar-Kontinuums ist seit dem vergangenen Wochenende im Labor des Hessischen Landtags zu erleben, wo junge Besucher im aufgeklappten Schädel von Roland Koch eine Zukunftsreise in nachtfinstere kinderlose und bildungsferne Weiten unternehmen können.

   Dass es soweit kommen konnte, wundert allerdings kaum. Die nordrhein-westfälische Unschärferelation, unser Sonntags-Horoskop, das klaffende Loch in der Nationalmannschaft und im Golf von Mexiko machen uns Normalbürger Angst. Wir wollen sie stopfen, nur wissen wir nicht wie - und ignorieren sie wie die kommende Heizrechnung nach diesem ausserirdischen Mai. Wir sehnen uns nach Ganzheit, nicht nach Kratern und Verwerfungen. Wer von uns will schon akzeptieren, dass die langbeinige Schönheit in der Strassenbahn in Wahrheit ein gefährlicher Cyborg ist, ein aus gammligen Orangenhautlappen und Formfleischbatzen zusammengeschmurgelter Klebeschinken? Wir sehnen die Illusion herbei wie den gesunden Knöchel von Ballack oder eine Supernova in Oslo. Schwarze Löcher sind für uns so dämonisch wie wie der Fotospeicher von Jörg Tauss' Diensthandy, Angela Merkels letzte Mondrede im Bundestag oder das komplex biomorphe Englisch-Vokabelheft von Günther Oettinger, das Forscher vom Craig Venter Institute in Rockville nun positiv auf künstliche Schwarmintelligenz untersucht haben. Ein schwacher Trost. Was uns bleibt? Sparen, Tee trinken und ein Griff in das Schälchen mit der knusprigen Mandelbrotmenge. Und falls jemand klingelt, nicht aufmachen. Es könnte sich um ein irres Schwarzes Loch handeln.
 

 

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