Nichts wird so überschätzt
wie der erste Satz. Der erste Satz, heisst es, entscheide darüber,
ob der Leser am Ball bleibe. Es spricht einiges dafür, dass
diese Behauptung von Leuten aufgestellt wurde, die über einen
ersten Satz nie hinausgekommen sind.
Warum
soll der zweite Satz eines Textes nicht genauso wichtig sein?
Oder der dritte? Oder der fünfundzwanzigste? Ich weiss nicht,
wie es Ihnen geht, aber ich bin öfter am fünfundzwanzigsten
Satz ausgestiegen als am ersten. Warum sollte mich ein dröger
erster Satz vom Weiterlesen abhalten? Es ist ja möglich, dass
der Autor nur so tut, als könnte er nicht schreiben, er in Wahrheit
aber ein angehender Literaturnobelpreisträger ist. Oder irgendwann
immerhin ins Erste zu Denis Scheck darf. Wer es aber bis zum
fünfundzwanzigsten Satz nicht gepackt hat, der schafft es nie.
Gute
erste Sätze sind die Geissel der schreibenden Menschheit. Oft
schon ist mir es passiert, dass ich am ersten Satz so lange
herumgedoktert habe, dass mit für den Rest die Kraft gefehlt
hat. Ein mässiger Text mit einem guten ersten Satz kommt daher
wie ein Trabi mit Porsche-Schnauze. Dann schon lieber von vorn
bis hinten Rennpappe. Seit mir das klargeworden ist, also seit
dieser Woche, ist mir der erste Satz egal. Erinnern Sie sich
noch, mit welchem Satz dieser Text angefangen hat? Ich nicht.
Gern
wird in dem Zusammenhang auf den irischen Schriftsteller James
Joyce verwiesen. Der habe es mit einem grandiosen ersten Satz
zu Weltruhm gebracht. Das mag schon sein. Leider vergisst man
zu erwähnen, dass James Joyce in seinem Leben nur einen einzigen
Satz geschrieben hat. Der füllte allerdings sämtliche seiner
Bücher.
Nein, Joyce kann für uns zeitgenössische,
das junge Deutschland repräsentierende Literaten kein Vorbild
sein. Halten wir uns lieber an Boris Becker. den Leimener. Wie
oft ging ihm in seiner Karriere ein erster Satz daneben, und
er hat das Spiel doch noch herumgerissen. Meistens im letzten
Satz.
|