Am liebsten würde unsere
Redaktion mit dem ganzen feuilletonistischen Geschwurbel ein
für alle Mal Schluss machen und diesen Buchstabenfriedhof leserfreundlicheren
Themen widmen: Lieblichen Krokussen, katholischen Päderasten
oder einer Rezension von Lady Gagas Dekolleté. Doch die allseits
mit Hochspannung erwartete Leipziger Buchmesse dürfen nicht
einmal wir Banausen ignorieren. Schon weil der diesjährige Preisträger
nun nicht Helene Hegemann heisst, sondern ... irgendwie anders.
Gott sei Dank! Der Name tut ohnehin wenig zur Sache. Eines ist
dabei fast sicher: Der hochtalentierte Künstler ist volljährig,
nicht drogenabhängig und hat sein Buch eigenhändig abgetippt.
Chapeau!
Doch bei aller Euphorie wollen
wir auch einige Texte erwähnen, die von der Kritik übergangen
wurden. Da wäre das nicht abgestempelte S-Bahn-Ticket "Payback"
(Untertitel: "Die Zwei-Zonen-Gesellschaft im Frankfurter
Westend") von Frank Schirrmacher in der Kategorie Fahrtenbuch.
Ein echter Pageturner in der Seniorenresidenzen der gehobenen
Preisklasse. Oder der Roman von Karl-Theodor zu Guttenberg (siehe
Bild), dem parfümiert formulierenden Politpop-Literaten, der
seinerzeit mit "Noblesse Royal" einen unerwarteten
Durchmarsch feierte. Für sein aktuelles Werk mit dem Monstertitel
"Gutis Sorgen um die Vergangenheit oder im Reich des heiligen
Hodensack-Bimbams von Kabul" begab sich der Autor auf eine
märchenhafte Identitätssuche in einer ferne Zeit. Ein Lügenbaron
besitzt ein Königsreich mit geschmeidiger Eleganz, bis er in
einem Sumpf voller Haargel stecken bleibt. Als er versucht,
sich am eigenen Schopf aus dem Schlamassel herauszuziehen, wacht
er auf und findet sich als entblösstes Pin-up-Girl im Spind
einer bayerischen Bundeswehrkaserne wieder. Dieses zugegebenermassen
bemühte Ende entzweite die Jury.

Während
dem Schreiben zu Guttenbergs eine verzwirbelte Erzählstruktur
zugrunde liegt - ein Kritiker will darin die Häkelanleitung
für eine Barbour-Steppjacke entdeckt haben -, brillierte
der Debütant mit klarer Sprache: Wolfgang Schneiderhan. Eine
Spätentdeckung! Der Ex-General lernte erst spät mit Mitte vierzig
in einem Ardenner Schützengraben weinen und buchstabieren. Seine
autobiografische Kurzgeschichte "Die Leiden des alten W."
lobte eine linksliberale Gazette als "eiskalten Report".
Anderenorts hiess es, Schneiderhans Prosa räume wie eine rachsüchtige
Feldhaubitze ministerielle Papiertiger aus dem Weg, hinterlasse
Angst und Schrecken wie einst das erotische Kriegstagebuch von
Paul von Hindenburg.
Nicht annähernd
so viel Lob erntete Phillip Rössler für sein Science-Fiction-Drama
"Dr. Hope". ein unverständlicher Schmöker, gewiss.
Schwer auszurechnen, geheimnisvoll konstruiert wie das Bankkonto
eines deutschen Pharma-Lobbyisten. Worum geht es in diesem
kruden Zukunftsstück? Wir schreiben das Jahr 2015. Deutschland
ist entvölkert, lediglich zwei mechanisch nickende Kopfpauschalen
haben überlebt und führen vor der Berliner FDP-Zentrale einen
kakofonischen Dialog über die abführende Wirkung von schlechter
Literatur. Plötzlich rollt eine arbeitslose Kopfschmerztablette
vorbei und murmelt: "Abzocker!" Nun ja. |