Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (28. Februar 2010)
 

   Das Einschlafen wird auch immer schwieriger in diesem Land. Neulich wieder. Zählte erst Schafe, dann Medaillen, am Ende Selbstanzeigen. Stunden später, im vierstelligen Bereich, schlief ich doch ein und hatte einen dekadenten Fiebertraum in dieser dunklen Februarnacht.

   Ich träumte, ich sei eingeladen worden. Zu einer wilden Party der Autorin Helene Hegemann ("Lurchis Abenteuer"), die schon seit Wochen im angesagten Berliner Hardcore-Feuilletonistentreff Hirnblähung tobt. Ich ziehe meinen Kajalstrich nach, bitche mich radikal subjektiv auf und steige in mein tiefergelegtes Guidomobil: Enen fabrikneuen Porsche Cayenne vom Typ Roadkiller, dessen Hybridantrieb von 380 vom WInterdienst freigestellten Langzeitarbeitslosen befeuert wird.

   Draussen vor der Tür - es ist kalt, verdammt authentisch und so was von verfi**t. Wen kümmert's? Ich gebe Gas, entlocke dem Wohlstandspanzer eine schrille Synfonie aus soziales Stossseufzern und neoliberalen Glissandi. Reisse in einer Kurve keckernd die Maastricht-Kriterien ein. Weiche gnadenlos frisch aufgerissenen Finanzschlaglöchern aus.

   Als ich im Rückspiegel den Maserati des Chefs der örtlichen Obdachlosenhilfe (siehe Bild) entdecke, fällt mir "Ben Hur" ein. Sofort fahre ich meinen Ellenbogen aus und dränge den italienischen Wagen in eine moralisch verwerfliche Sackgasse ab. Man hört berstendes Metall, Rauchsäulen steigen auf. Überall riecht es nach spätrömischem Gummiabrieb.



   Aus den Augenwinkeln beobachte ich in der Oranienburger Strasse eine Horde randalierender Griechen und Lufthansa-Piloten. Mittendrin im gewerkschaftsnahen Klüngel lungert Jürgen Rüttgers herum, ein stadtbekannter Dealer. Ich bremse, lasse die Scheibe herunter, winke ihn herüber. Doch als ich Rüttgers nach dem Weg frage, schüttelt er bloss seinen Zottelkopf und hält seine Hand auf. "6000 Euro, sonst kriegst du kein Wort!"

   Wütend brause ich davon und überfahre prompt eine rote Ampel. Ein bayrisch lallender Gebirgsjäger hält mich auf. Er riecht nach Alkohol, nach ekligem Exzess. "1,54 Promille", grunzt er feist, faselt etwas von einer "spätmittelaltelichen Hexenjagd" im Bundestag. Widerlich. Als Aquaholiker müsste ich seine Neigung verurteilen, aber ich bekomme plötzlich Mitleid und mache einfach mal eine Ausnahme. "Du kannst nie tiefer fallen als in Gottes Hand", predige ich und empfehle eine Entziehungskur in einem Jesuitenkloster. Völlig entgeistert, als habe er den Teufel erblickt, tritt er vom Guidomobil und all seinen Ämtern zurück, macht den Weg frei. Ich fühle mich besser. Leichter. Vergeben tut so gut.

   Endlich erreiche ich die Hirnblähung. Aber die Party ist aus. Zu spät. Ein letztes Häuflein entblösster kichernder Literaturkritiker wärmt sich noch an einem brennenden Bücherberg. Ich sehe noch einige Plagiate glimmen: Ein quellenloser Käßmann-Raubdruck, die letzten Exemplare von Peter Scholl-Latours Klassiker "Der Tod im Reisbeutel" auf Mittelhochdeutsch. Ansonsten: Leere.

   Ich wachte auf. Tupfte mir mit einer Sonntag Aktuell die schwitzige Stirn ab. Öffnete das Fenster. Ein Hauch von Frühling war zu spüren. Himmel sei Dank. War alles nur ein verdammt authentischer Traum.
 

 

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