Es waren erschreckende Szenen:
Menschen drängten sich um die Stellen, an denen Lebensmittel
und Getränke verteilt wurden. In ihren Augen standen Gier und
Verzweiflung. Immer wieder wurden Alte und Kinder niedergetrampelt
oder beiseitegestossen. All das ereignet sich alljährlich auf
der Grünen Woche, zu der sich vor allem Westberliner - jahrelang
genährt durch die Subventionen der alten Bundesrepublik - in
zugigen Messehallen zusammenballen, jeden Knochen, an dem noch
einige Fetzen von Fleisch kleben, an sich reissen und mit verrutschenden
Brillen, befleckten Windjacken und schweissnassen Händen das
Erbeutete verschlingen.
Die Grüne Woche
ist damit eines der erschütterndsten Beispiele für ungleiche
Verteilung der weltweiten Nahrungsvorräte, zugleich aber ein
hoffnungsvoll stimmendes Beispiel für die zusammenwachsende
internationale Gemeinschaft. Auch unser Eine-Welt-Ressort unserer
Redaktion machte sich vor Ort ein Bild von der Dramatik der
Lage.
Dabei gerieten wir auf einen
Erlebnisbauernhof, der in grausamer Realitätstreue das Leben
und Sterben auf der deutschen Scholle zeigt. Der erste Milchbauernkrieg,
ausgehend von der Erstürmung der Lidl-Filiale in Essen-Kettwig,
wird ebenso gezeigt wie die neuen artgerechten Hühner-Erlebnisställe
mit Daumenkino, "Begegnung mit Tieren" lautet das
Motto, wobei sich viele Nutztiere über das ruppige und uungepflegte
Gebaren der Messebesucher beklagten. Zu essen: Schinkenwurst,
Ferkel am Stück, weiches Hirn, lauwarm.

Nur
einen Steinwurf entfernt wurde ein Schaukochen entfesselt, bei
dem sich vier Fernsehköche eine ausgelassene Käserei lieferten.
Bombenstimmung" Zu essen: Schlachtpfisterei, kontrollierter
Brottrunk, mehrere De-Meter kolumbianische Schwitzgurken und
ähnliches Zeugs. Schliesslich die legendäre Sonderschau der
Berliner Kleingärtner. Für viele der eigentliche Höhepunkt der
Grünen Woche.
Die Berliner Kleingärtner
gelten als Pioniere bei der Verminung grossstädtischer Gartenanlagen
und zeigten den staunenden Besuchern eine breite Palette von
Methoden, Hundesekrete bis zu den Besitzern zurückzuverfolgen
und deren Gartenimmobilien niederzubrennen. Eine Sandalenmodenschau
schloss sich an. Zu essen: Kerzengerade gezogene Tomaten, Formationskohlrabi
und selbstrülpsende Dosenwurst. Hier geriet auch unser Team
an die Grenzen der peristaltischen Leistungskraft. Mehrere Redakteure
mussten abgezogen werden und zur Erholung nach Eiweissrussland
geschickt werden.
Es führte jetzt zu
weit, noch über die Neuerungen auf dem Gebiet der Agrobiodiversität
zu berichten, also der Herstellung von Crème brulée aus Schlachtabfällen.
Zumal in einem "begehbaren Stall" weitere Redaktionsmitglieder
verloren gingen. Einige konnten mit Hilfe eines Rettungseuter
befreit werden und berichteten später von faszinierenden Eindrücken. Danach
erreichten uns nur noch versprengte Meldungen aus dem Inneren
der Grünen Woche, die derart kalorienstark waren, dass unsere
Redaktionscomputern sie nicht mehr zu Wortbrei verarbeiten konnten. |