In
der Eingangshalle des Hauptbahnhofs, einem Ort archetektonischer
Würde, hängt ein Transparent, grösser als ein Leinentuch. Darauf
steht: "Unser schönstes Geschenk." Dem Politikerwahn
entsprechend, hat man alle Buchstaben grrossgeschrieben, und
darunter: "Stuttgart 21 kommt. Die Jahrhundertchance für
Stuttgart."
Zum Verständnis: Das
Jahrhundert ist noch keine 10 Jahre alt.
Warum
Stuttgart 21 "unser schönstes Geschenk" sein soll,
weiss kein Mensch. Wen meint man mit "unser", und
womit bezahlt man das "Geschenk"? Mit unserem Geld,
mit unseren Steuern. Ich weiss, es wäre ein altbackener Gedanke,
mit unserem Geld zwischendurch die Klotüre unserer verkommenden
Schulhäuser zu streichen.
Auf dem Monstertransparent
im Bahnhof hat man zwei rote Weihnachtspakete abgebildet, aus
einem erhebt sich eine gläserne Halbkugel mit einem ICE. Auch
das Kirmesherz mit dem Chirurgenschlachtruf "Das neue Herz
Europas" wurde nicht vergessen. Dieser Grafikermüll läuft
unter der Bezeichnung Werbung.

Unlängst
hat man für Stuttgart 21 noch einmal zehn Millionen Euro oder
sonstiges Monopolygeld aus der Knast-Region verplant, um eine
weitere Werbekampagne für Stuttgart 21 anzuleiern. Man muss
kein Gegner des Milliardenspiels sein, um auch in diesem Schritt
die pure Hilf- und Ahnunglosigkeit zu sehen. Werbung soll, so
sagen die Auftragsgeber, der "Kommunikation" dienen.
So will man die Kopfbahnhofs-Zerstörung als sinnvoll vermitteln.
Als
ob man mit Werbung, einer Art Hirnwäsche zum Einbrennen von
Markennamen und künstlich erzeugten Lebensgefühlen, gewaltsame
Eingriffe in Lebensräume, in Heimat erklären könnte. Werbung,
eine Gauklerübung mit vielen nicht messbaren Werten, ist in
diesem Fall nichts anderes als plumpe Propaganda mit einem läppischen
Superlativ: "Unser schönstes Geschenk". Werbung?
Willst
du viel, spül mit Pril.
Mit Kritik
an Stuttgart 21, und seien es nur Zweifel an der dilettantischen
Öffentlichkeitsarbeit, handelt man sich erfahrungsgemäss den
Vorwurf ein, ein Ewiggestriger zu sein. In ihrer machohaften
Sucht nach Ruhm und Unsterblichkeit können die Männer des Fortschritts
nicht ahnen, dass sie längst selbst von vorgestern sind. "Wir
sind die gute alte Zeit von morgen", hat Karl Valentin
gesagt.
Das Profil des Fortschritts
trägt bei uns die Züge von Schuster, Öttinger und Mappus. Man
sollte ihrhe Konferteis neben das Mercedes-Symbol auf dem Bahnhofsturm
montieren, sie neben dem dreizackigen Stern der Tradition als
eiserne Haken des Fortschritts verewigen. Damit hätte unsere
Zukunft zwar kein Zuhause, wie es die Bausparkassenwerbung verspricht,
aber ein Gesicht. Das Gesicht mit Sollbruchstelle. Man wüsste
schon jetzt, wie die Zukunft aussieht, und würde später begreifen,
was man von der guten alten Zeit zu halten hat.
Der
Kulturkritiker Gerhard Stadelmaier, ein schwäbischer Mensch
in Diensten der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung",
hat dieser Tage beim Blick auf Stuttgart 21 von "durchgeknallten
Politikern" und identisch veranlagten ""Bahn-Profitmachern"
geschrieben: "Diese planen mit dem Geld, das sie nicht
haben und nie haben werden (also mit 'Schulden wie die Sautreiber',
wie man dortzulande so etwas nennt), einen völligen megalomanen
Unfug ins Blaue hinein, machen dafür aber ein solides Gewachsenes,
Schönes, Tolles, Heimatliches, Wunderbares kaputt - oder 'hee',
wwie man dortzulande sagt." Seine Glosse hat der Autor
mit dem poetischen Wort "Grasdackel" überschrieben.
Man muss nicht schwäbisch können, um die Liebe zum Hauptbahnhof,
dem Bauwerk von Paul Bonatz, zu erkennen.
Wo
jetzt das Leichentuch mit der schleifenverzierten Botschaft
"Unser schönstes Geschenk" hängt, sind Metzger am
Werk. Sie werden den Bahnhof ausschlachten, zerlegen und ihm
beide Flügel abhacken wie einer Weihnachtsgans. Zukunft gestalten
heisst für die Deckler und Tunnler, die Welt so zuzurichten,
dass man die Vergangenheit, die Geschichte nicht mehr erkennen
kann. Die Herren gehen davon aus, dass über ihre Bulldozer-Politik
Gras wachsen wird, sobald sie alle Brücken zur Historie gesprengt
haben. Deshalb nennt man sie Grasdackel.
Der
amtierende Ministerpräsident hat dieser Tage im Fernsehen gesagt,
die Stuttgarter Bevölkerung werde von der Bauschlacht am Bahnhof
nichts mitbekommen, das meiste spiels sich nämlich "im
Tunnel" ab. Einer wie Öttinger kann nichts anders: Politiker
haben den Tunnelblick, die meisten von ihnen sehen ausser dem
Flughafen und ein paar Tiefgaragen selten etwas von ihrer Stadt.
Mit dem Zug fahren sie sowieso nicht gern. Sie gerieten womöglich
unter Menschen.
Unter uns: Geschenkt!
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