Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (27. Dezember 2009)
 
Geschenkt!


   
In der Eingangshalle des Hauptbahnhofs, einem Ort archetektonischer Würde, hängt ein Transparent, grösser als ein Leinentuch. Darauf steht: "Unser schönstes Geschenk." Dem Politikerwahn entsprechend, hat man alle Buchstaben grrossgeschrieben, und darunter: "Stuttgart 21 kommt. Die Jahrhundertchance für Stuttgart."

   Zum Verständnis: Das Jahrhundert ist noch keine 10 Jahre alt.

   Warum Stuttgart 21 "unser schönstes Geschenk" sein soll, weiss kein Mensch. Wen meint man mit "unser", und womit bezahlt man das "Geschenk"? Mit unserem Geld, mit unseren Steuern. Ich weiss, es wäre ein altbackener Gedanke, mit unserem Geld zwischendurch die Klotüre unserer verkommenden Schulhäuser zu streichen.

   Auf dem Monstertransparent im Bahnhof hat man zwei rote Weihnachtspakete abgebildet, aus einem erhebt sich eine gläserne Halbkugel mit einem ICE. Auch das Kirmesherz mit dem Chirurgenschlachtruf "Das neue Herz Europas" wurde nicht vergessen. Dieser Grafikermüll läuft unter der Bezeichnung Werbung.



   Unlängst hat man für Stuttgart 21 noch einmal zehn Millionen Euro oder sonstiges Monopolygeld aus der Knast-Region verplant, um eine weitere Werbekampagne für Stuttgart 21 anzuleiern. Man muss kein Gegner des Milliardenspiels sein, um auch in diesem Schritt die pure Hilf- und Ahnunglosigkeit zu sehen. Werbung soll, so sagen die Auftragsgeber, der "Kommunikation" dienen. So will man die Kopfbahnhofs-Zerstörung als sinnvoll vermitteln.

   Als ob man mit Werbung, einer Art Hirnwäsche zum Einbrennen von Markennamen und künstlich erzeugten Lebensgefühlen, gewaltsame Eingriffe in Lebensräume, in Heimat erklären könnte. Werbung, eine Gauklerübung mit vielen nicht messbaren Werten, ist in diesem Fall nichts anderes als plumpe Propaganda mit einem läppischen Superlativ: "Unser schönstes Geschenk". Werbung?

   Willst du viel, spül mit Pril.

   Mit Kritik an Stuttgart 21, und seien es nur Zweifel an der dilettantischen Öffentlichkeitsarbeit, handelt man sich erfahrungsgemäss den Vorwurf ein, ein Ewiggestriger zu sein. In ihrer machohaften Sucht nach Ruhm und Unsterblichkeit können die Männer des Fortschritts nicht ahnen, dass sie längst selbst von vorgestern sind. "Wir sind die gute alte Zeit von morgen", hat Karl Valentin gesagt.

   Das Profil des Fortschritts trägt bei uns die Züge von Schuster, Öttinger und Mappus. Man sollte ihrhe Konferteis neben das Mercedes-Symbol auf dem Bahnhofsturm montieren, sie neben dem dreizackigen Stern der Tradition als eiserne Haken des Fortschritts verewigen. Damit hätte unsere Zukunft zwar kein Zuhause, wie es die Bausparkassenwerbung verspricht, aber ein Gesicht. Das Gesicht mit Sollbruchstelle. Man wüsste schon jetzt, wie die Zukunft aussieht, und würde später begreifen, was man von der guten alten Zeit zu halten hat.

   Der Kulturkritiker Gerhard Stadelmaier, ein schwäbischer Mensch in Diensten der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", hat dieser Tage beim Blick auf Stuttgart 21 von "durchgeknallten Politikern" und identisch veranlagten ""Bahn-Profitmachern" geschrieben: "Diese planen mit dem Geld, das sie nicht haben und nie haben werden (also mit 'Schulden wie die Sautreiber', wie man dortzulande so etwas nennt), einen völligen megalomanen Unfug ins Blaue hinein, machen dafür aber ein solides Gewachsenes, Schönes, Tolles, Heimatliches, Wunderbares kaputt - oder 'hee', wwie man dortzulande sagt." Seine Glosse hat der Autor mit dem poetischen Wort "Grasdackel" überschrieben. Man muss nicht schwäbisch können, um die Liebe zum Hauptbahnhof, dem Bauwerk von Paul Bonatz, zu erkennen.

   Wo jetzt das Leichentuch mit der schleifenverzierten Botschaft "Unser schönstes Geschenk" hängt, sind Metzger am Werk. Sie werden den Bahnhof ausschlachten, zerlegen und ihm beide Flügel abhacken wie einer Weihnachtsgans. Zukunft gestalten heisst für die Deckler und Tunnler, die Welt so zuzurichten, dass man die Vergangenheit, die Geschichte nicht mehr erkennen kann. Die Herren gehen davon aus, dass über ihre Bulldozer-Politik Gras wachsen wird, sobald sie alle Brücken zur Historie gesprengt haben. Deshalb nennt man sie Grasdackel.

   Der amtierende Ministerpräsident hat dieser Tage im Fernsehen gesagt, die Stuttgarter Bevölkerung werde von der Bauschlacht am Bahnhof nichts mitbekommen, das meiste spiels sich nämlich "im Tunnel" ab. Einer wie Öttinger kann nichts anders: Politiker haben den Tunnelblick, die meisten von ihnen sehen ausser dem Flughafen und ein paar Tiefgaragen selten etwas von ihrer Stadt. Mit dem Zug fahren sie sowieso nicht gern. Sie gerieten womöglich unter Menschen.

   Unter uns: Geschenkt!
 

 

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