Neulich hatte ich einen
schrecklichen Traum. Ich träumte, ich sei jemand, der ich nie
sein wollte. Ein Mann ohne Ziel und Profil.
Ich
hatte plötzlich dieses transparente Haar, welches wie ein zu
schnell geföhnter Steuer-Stufentarif auf meinem müden Haubentaucherkopf
herumflirrte. Ich sass irgendwo in Berlin, war Chef in einem
Ministerium, endlich. Ich hätte glücklich sein müssen. Aber
ich fühlte mich abgeschoben, stehengelassen wie ein Minderleister
mittags an der Biertanke. Ein Stürmer auf der Ersatzbank der
Macht. Meine Untergebenen waren voller Angst, verdächtigten
mich, ich würde sie demnächst alle auf die Strasse setzen. Alle
bis auf mich selbst. Zu Recht. Auf meinem Schreibtisch stapelten
sich Anfragen, Projekte, Bitten aus armen, mir völlig unbekannten
Ländern. Man erwartete was von mir. Hilfe, Engagement. Unterstützung.
Geld. Ausgerechnet von mir. Was interessiert mich das Pro-Kopf-Einkommen
in Kambodscha? Ist Kambodscha nicht ein Wellness-Gesöff dieser
Bio-Faschisten am Prenzlauer Berg? Warum schreiben eigentlich
alle Zeitungen nur über Guidos Denglisch und Angelas Jeans und
nicht über meine wohldefinierten Schultern (siehe Bild)? Warum
überweisen wir ärmlichen Deutschen eigentlich jedes Jahr noch
zig Millionen ins reiche China?
 Ich
badete im Schweisse meines konturlosen Angesichts. Ich hatte
doch alles richtig gemacht. Ich war schon immer ein karrieristischer
Streber. Ich diente als Zeitsoldat. Spielte Rugby. Fuhr in meinen
wilden Jahren einen VW-Polo. Zeugte drei gesunde Söhne. Trug
mit Vorliebe Seidenkrawatten, gelb wie WC-Reiniger. Ich war
tiefgründigen politischen Debatten immer sauber ausgewichen.
Ich war stets die ideologische Saftschubse meiner Partei gewesen,
servierte als dauerlächelnder Floskelautomat das Wahlvolk auf
den billigen Randplätzen ab, eilte schnell durch die sichere
Mitte in die Business-Class und streckte meinen Hintern zum
Abklatschen raus. Uups. Aber jetzt?
Ich
wälze mich hin und her. Stöhne. Träume, wie aus gekränkter Eitelkeit
den Gelbstift ansetze und China auf der Nehmerliste fett durchstreiche.
Alles kommt nun auf den Prüfstand, murmle ich. Indien. Brasilien.
Mexiko. Ich streiche mich in einen Rausch. Die Welt ist gar
keine Kugel - sie ist ein Rugby-Ei. Dann lasse ich ein Carepaket
mit den übrig gebliebenen Wahlprogrammen unseren geliebten FDP
nach Kombucha schicken samt einigen Krawatten aus meiner reichhaltigen
Juli-Kollektion. Mikrokredite. Hilfe zur Selbsthilfe. Das Porto
zahlt der Empfänger.
Neulich hatte
ich, wie gesagt, diesen bösen Traum. Ich träumte, ich sei Dirk
Niebel, der neue Abwicklungshilfeminister. EIn Parteisoldat,
der sein Ressort freiwillig eindampft. Das Streichgespenst aller
Schwellenländer. Irgendwann schaute ich im Traum in einen Handspiegel
- und sah nichts. Die leere, niebulöse Mitte. Da wachte ich
auf. Und fühlte mich so frei. Geradezu liberal. |