Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (08. November 2009)
 

   Neulich hatte ich einen schrecklichen Traum. Ich träumte, ich sei jemand, der ich nie sein wollte. Ein Mann ohne Ziel und Profil.

   Ich hatte plötzlich dieses transparente Haar, welches wie ein zu schnell geföhnter Steuer-Stufentarif auf meinem müden Haubentaucherkopf herumflirrte. Ich sass irgendwo in Berlin, war Chef in einem Ministerium, endlich. Ich hätte glücklich sein müssen. Aber ich fühlte mich abgeschoben, stehengelassen wie ein Minderleister mittags an der Biertanke. Ein Stürmer auf der Ersatzbank der Macht. Meine Untergebenen waren voller Angst, verdächtigten mich, ich würde sie demnächst alle auf die Strasse setzen. Alle bis auf mich selbst. Zu Recht. Auf meinem Schreibtisch stapelten sich Anfragen, Projekte, Bitten aus armen, mir völlig unbekannten Ländern. Man erwartete was von mir. Hilfe, Engagement. Unterstützung. Geld. Ausgerechnet von mir. Was interessiert mich das Pro-Kopf-Einkommen in Kambodscha? Ist Kambodscha nicht ein Wellness-Gesöff dieser Bio-Faschisten am Prenzlauer Berg? Warum schreiben eigentlich alle Zeitungen nur über Guidos Denglisch und Angelas Jeans und nicht über meine wohldefinierten Schultern (siehe Bild)? Warum überweisen wir ärmlichen Deutschen eigentlich jedes Jahr noch zig Millionen ins reiche China?


   Ich badete im Schweisse meines konturlosen Angesichts. Ich hatte doch alles richtig gemacht. Ich war schon immer ein karrieristischer Streber. Ich diente als Zeitsoldat. Spielte Rugby. Fuhr in meinen wilden Jahren einen VW-Polo. Zeugte drei gesunde Söhne. Trug mit Vorliebe Seidenkrawatten, gelb wie WC-Reiniger. Ich war tiefgründigen politischen Debatten immer sauber ausgewichen. Ich war stets die ideologische Saftschubse meiner Partei gewesen, servierte als dauerlächelnder Floskelautomat das Wahlvolk auf den billigen Randplätzen ab, eilte schnell durch die sichere Mitte in die Business-Class und streckte meinen Hintern zum Abklatschen raus. Uups. Aber jetzt?

   Ich wälze mich hin und her. Stöhne. Träume, wie aus gekränkter Eitelkeit den Gelbstift ansetze und China auf der Nehmerliste fett durchstreiche. Alles kommt nun auf den Prüfstand, murmle ich. Indien. Brasilien. Mexiko. Ich streiche mich in einen Rausch. Die Welt ist gar keine Kugel - sie ist ein Rugby-Ei. Dann lasse ich ein Carepaket mit den übrig gebliebenen Wahlprogrammen unseren geliebten FDP nach Kombucha schicken samt einigen Krawatten aus meiner reichhaltigen Juli-Kollektion. Mikrokredite. Hilfe zur Selbsthilfe. Das Porto zahlt der Empfänger.

   Neulich hatte ich, wie gesagt, diesen bösen Traum. Ich träumte, ich sei Dirk Niebel, der neue Abwicklungshilfeminister. EIn Parteisoldat, der sein Ressort freiwillig eindampft. Das Streichgespenst aller Schwellenländer. Irgendwann schaute ich im Traum in einen Handspiegel - und sah nichts. Die leere, niebulöse Mitte. Da wachte ich auf. Und fühlte mich so frei. Geradezu liberal.
 

 

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