Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (25. Oktober 2009)
 

   Diese Woche richteten sich die Blicke der Welt nach Fürth in Franken, wo die letzten beiden Kunden der Firma Quelle im Zuge einer Life-Übertragung im Katalog blätterten und nach zwei Stunden tatsächlich eine Bestellung abgaben, die eilends per Boten ausgeliefert wurde. Damit ist das Versandhaus aus den Gröbsten heraus. Uns gibt das Gelegenheit, noch einmal die Verdienste von Quelle für die kulturelle und gesellschaftliche Entwicklung Nachkriegsdeutschlands zu würdigen. Der Quelle-Katalog gilt als die Magna Charta des Nachkriegskonsums und hat schon viele Exegeten magisch angezogen. Dennoch weigerte er sich bis heute, die letzten Rätsel preiszugeben.

   Unsere Wissenschaftsredaktion kommt in ihrer Auswertung des Quelle-Gesamtwerks 2009 zu überraschenden Schlüssen. So wird der Betrachter auf den ersten Seiten empfangen von einer Familie Wurdinger, die, so heisst es verheissungsvoll, ihm alle Wünsche erfüllen wird. Dieses Verheissungsmotiv ist biblisch begründet und verweist auf das Alte Testament, in dem Rebekka zu weiblichen Trägerin der Gottesverheissung wird. Allerdings ist unklar, ob die blonde Frau Wurdinger auf dem Foto mit Vornamen Rebekka heisst. Die Seiten 19 folgende sind noch nicht völlig entschlüsselt. Dort wird auf Outfits mit dem "Flair des Big Apple" verwiesen, auf "Glam Rocks" und einen mysteriösen "Trench", der als "must be" bezeichnet wird. Viele Quelle-Kunden sind ja notorisch klamm, weshalb sie ein glammer Rock interessieren könnte, aber warum sollten sie einen grossen Apfel bestellen? Unter dem Akronym "y.o.u." versammeln sich junge Mädchen mit gewaltigen Ohrringen, deren Credo lautet: "Retro hat jetzt richtig Power." Aber wer ist Retro? Der uneheliche Sohn vom alten Wurdinger? Wer im Buch der Bücher (siehe Bild) weiterblättert, findet "Mode bis Grösse 54", die der alten indischen Volksweisheit gehorcht: "Du sollst Frauen achten, die einen gewaltigen Schatten werfen."


   An diesem Punkt der Exegese waren viele unserer Wissenschaftler vor Erschöpfung vom Schlaf übermannt worden. Hätten sie doch durchgehalten! So versäumten sie die "Akzente in Lila" auf Seite 140, die allerdings in der Vergangenheit bei vielen Quelle-Kunden zu Augenreizungen führten. Wenig später versammeln sich - dramaturgisch verdichtet - Schmuck und Schuhe in einer Art Massenchoreografie. Von Seite 482 betreten herrenlose Jeans die Quelle-Bühne. In geschuppter Anordnung harren sie der Fleischlichkeit. Auf Seite 610 bahnt sich eine Sensation an: Die "Brühlhose, strecht-elastisch mit Dehnbund" wird jetzt auch mit einem Lederimitat-Gürtel ausgeliefert! Gerüchte, dies sei nur möglich, weil sie in einem nordkoreanischen Kinderarbeitslager gefertigt werde, konnten bisher nicht verifiziert werden. Wenig später feiert Trevira, die Göttin der Elastik, eine Renaissance. Trevira-Männer schafften es in den Fünfzigern bis in hohe Staatsämter und begründeten den deutschen Nimbus einer bügelfreien Nation mit unbefleckter Vergangenheit.

   Auf Seite 720 gebärdet sich Bettwäsche nicht nur als "Seersucker", sondern als "Super-Soft-Seersucker". Wir wissen aber nicht, warum. Gewebe aus Polyacryl, Nylon, und Elastan verbinden sich zu Sofas. Die Nutzung dieser Erdölderivate reicht zurrück bis ins Jahr 1943, als die Wehrmacht die Ölfelder von Baku ins Visier nahm, um nach dem Endsieg den Binnenkonsum im Reich mit Ölsofas anzukurbeln. Nürnberg ist ja nicht weit. Rätselhaft die Seite 914: Ein Einkaufsroller mit Kühlfach. Aber wofür? Um ein Wiener Schnitzel von Kaufland ins Seniorenheim zu transportieren? Dorthin also, wo viele Kunden ihre letzte Bleibe im "Quelle-Landhausstil" eingerichtet haben. Der Landhausstil war lange verpönt, nachdem die Ornamentverächter der 69er-Generation Landhäuser fränkischer Unternehmer gebrandschatzt hatten. Doch die unschuldige Anmut bestickter Gardinen und bespannter Holzlampen obsiegte über dem Brutalismus der Rechteckfanatiker. Weiteres Mobilar stammt von einem gewissen "Casamaxx", nach unseren Recherchen ein italienischer Causeur und Frauenheld, der seine zweifelhaften Affären meist in elektrisch betriebenen Lehnsesseln und schwülstigen Brokatbetten auslebte. Wie sein Name es in den Quelle-Katalog geschafft hat, ist offen.

   Nach 1350 Seiten Text- und Bildexegese ist die Wissenschaftsredaktion stark dezimiert. Von Wurdingers fehlt jede Spur. Was geschah in Fürth? Genauen Aufschluss werden nur Ausgrabungen bringen. Wir sind schon unterwegs.
 

 

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