Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (18. Oktober 2009)
 

   Neulich auf der Buchmesse, an der Brutzelbude in Halle 3.0. Zwei belesen wirkende Besucher (Kollagenarme Papierhaut, anämisch) stehen sich an der Theke gegenüber. Einer ist Chinese. Sie schweigen, lauschen dem unendlichen Rascheln der druckfrischen Buchseiten und dem Schmatzen saftig aufplatzender Blasen blutig getretener Fussballen. Doch jäh wird dieses harmonische, interkulturelle Würstelzutzeln gestört, als einer der beiden seine Frankfurter mit roher Gewalt in die Senfpfütze klatscht und schreit: "Was mich vor allem stört am konserativen, frankophoben Literaturfeuilleton, ist doch dessen redundante Nörgelei am angeblich selbstreferenziellen Metakritizismus der Dekonstruktivisten, die ja letztlich nur eine unoriginelle Präfiguration von Hegels Kritik am Konzept der Ironie darstellt." Daraufhin beisst der Asiate den Wurstzipfel ab, spuckt ihn aus und entgegnet schnippisch:" Im Himmel gibt es das Paradies, auf Erden Suzhou und Hangzhou." Dann kehrt wieder Ruhe ein.

   Welche Lehre ziehen wir daraus? Keine Ahnung. Nur eines ist gewiss: So schlierig transparent wie eine Frühlingsrolle (Nummer 6) gestaltet sich der diesjährige Dialog mit dem Ehrengastland China. Jenseits von Menschenrechtsverletzungen, erheiternden Glückskekssprüchen und Einschränkungen der Meinungsfreiheit gibt es zahlreiche Neuentdeckungen aus dem Land der Mitte, dass seine eloquentesten Lächler an die westliche Bücherfront geschickt hat.

   Da wäre etwa Pe King, ein porzellanglatt fabulierender Dichter aus Schanghai, der sein Handwerk beim kreativen Schreiben im Kopierzimmer des Ministerium für Staatssicherheit gelernt hat. Für sein viel gerühmtes Mammutwerk "Im Zeichen des Schweins" recherchierte der Günter Grass des Ostens jahrzehntelang in den Zahnzwischenräumen und den E-Mails eines ahnungslosen tibetanischen Schriftstellerfreundes, dessen Finger kurz nach Erscheinen mysteriöserweise in einer Asiapfanne (Nummer 42) in der Kantine der örtlichen Polizeistation aufgetaucht sind. Das Buch wurde bereits in 33 Betriebsanleitungen übersetzt und ist vor allem in Libyen, Nordkorea und Mecklenburg-Vorpommern ein Bestseller.


   Oder Jing Jangs fulminanter autoerotischer Verwicklungsroman "Huhn Gungbao mit Knoblauch" (siehe Bild). Die blutjunge Autorin erzählt die Geschichte eines naiven Landhühnchens, das mit dem China-Express in 377 Tagen aus der tumben Provinz in die hippe Hauptstadt zuckelt und in den Lagerräumen einer Suppenküche Federn lässt. Jangs Kennzeichen sind fleischige Metaphern, eine ölige Interpunktion und dampfende Gänsehäute (Nummer 97). Lange Zeit geschieht nichts Wesentliches, eine Vergewaltigung folgt der anderen. Doch am Ende trifft unsere Heldin ihre grosse Liebe: Einen scharfen Glutamat-Gockel, der bei der romantischen Rundfahrt auf dem biologisch toten Huangpo-Fluss um ihre knusprigen Flügel anhält, um sie noch ein letztes Mal zu vergewaltigen ("Eklig, aber würzig!", FAZ).

   Grösstes Aufsehen erregte allerdings das erste Buch von Miau Miau mit dem Titel "Der grosse Sprung in der Schüssel", eine exakte Réécriture des Welterfolgs "Feuchtgebiete" von Charlotte Roche. Die Schriftstellerin, eine ehemalige Studentin der Diktaturwissenschaften in Guangzhou, zeichnet darin ein kritisches Potrait ihrer geliebten Heimat. Im Mittelpunkt: Der fleissige Tellerwäscher Dong, der im boomenden China zum erfolgreichen Wanderarbeiter in der Seidenspinnerei von H&M aufsteigt und dabei sein Gedächnis in einem Sack Reis verliert. En passant streift die Autorin - eine von 798 Enkeln des unvergesslichen Mao - auch die dunklen Kapitel der jüngsten Geschichte. Nichts bleibt ausgespart, weder der lange Arsch, die Ein-Wind-Politik noch die katastrophalen Ausdünstungen für die Umwelt durch das gigantische Staudarm-Projekt. Gerade Miaus Debüt müsste uns eurozentrischen Sofa-Intelektuellen neue Perspektiven jenseits der üblichen Schwarz-Weiss-Malerei im schwierigen Dialog mit China eröffnen. Das Buch kostet übrigens 23 Yan (umgerechnet drei Wanderarbeiter), besteht zu 99 Prozent aus Polyester und kann nach der Lektüre in der Friteuse aufgebügelt werden.
 

 

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