Neulich auf der Buchmesse,
an der Brutzelbude in Halle 3.0. Zwei belesen wirkende Besucher
(Kollagenarme Papierhaut, anämisch) stehen sich an der Theke
gegenüber. Einer ist Chinese. Sie schweigen, lauschen dem unendlichen
Rascheln der druckfrischen Buchseiten und dem Schmatzen saftig
aufplatzender Blasen blutig getretener Fussballen. Doch jäh
wird dieses harmonische, interkulturelle Würstelzutzeln
gestört, als einer der beiden seine Frankfurter mit roher Gewalt
in die Senfpfütze klatscht und schreit: "Was mich vor allem
stört am konserativen, frankophoben Literaturfeuilleton, ist
doch dessen redundante Nörgelei am angeblich selbstreferenziellen
Metakritizismus der Dekonstruktivisten, die ja letztlich nur
eine unoriginelle Präfiguration von Hegels Kritik am Konzept
der Ironie darstellt." Daraufhin beisst der Asiate den
Wurstzipfel ab, spuckt ihn aus und entgegnet schnippisch:"
Im Himmel gibt es das Paradies, auf Erden Suzhou und Hangzhou."
Dann kehrt wieder Ruhe ein.
Welche
Lehre ziehen wir daraus? Keine Ahnung. Nur eines ist gewiss:
So schlierig transparent wie eine Frühlingsrolle (Nummer 6)
gestaltet sich der diesjährige Dialog mit dem Ehrengastland
China. Jenseits von Menschenrechtsverletzungen, erheiternden
Glückskekssprüchen und Einschränkungen der Meinungsfreiheit
gibt es zahlreiche Neuentdeckungen aus dem Land der Mitte, dass
seine eloquentesten Lächler an die westliche Bücherfront
geschickt hat.
Da wäre etwa Pe King,
ein porzellanglatt fabulierender Dichter aus Schanghai, der
sein Handwerk beim kreativen Schreiben im Kopierzimmer des Ministerium
für Staatssicherheit gelernt hat. Für sein viel gerühmtes Mammutwerk
"Im Zeichen des Schweins" recherchierte der
Günter Grass des Ostens jahrzehntelang in den Zahnzwischenräumen
und den E-Mails eines ahnungslosen tibetanischen Schriftstellerfreundes,
dessen Finger kurz nach Erscheinen mysteriöserweise in einer
Asiapfanne (Nummer 42) in der Kantine der örtlichen Polizeistation
aufgetaucht sind. Das Buch wurde bereits in 33 Betriebsanleitungen
übersetzt und ist vor allem in Libyen, Nordkorea und Mecklenburg-Vorpommern
ein Bestseller.
 Oder
Jing Jangs fulminanter autoerotischer Verwicklungsroman "Huhn
Gungbao mit Knoblauch" (siehe Bild). Die blutjunge
Autorin erzählt die Geschichte eines naiven Landhühnchens, das
mit dem China-Express in 377 Tagen aus der tumben Provinz in
die hippe Hauptstadt zuckelt und in den Lagerräumen einer Suppenküche
Federn lässt. Jangs Kennzeichen sind fleischige Metaphern, eine
ölige Interpunktion und dampfende Gänsehäute (Nummer 97). Lange
Zeit geschieht nichts Wesentliches, eine Vergewaltigung folgt
der anderen. Doch am Ende trifft unsere Heldin ihre grosse Liebe:
Einen scharfen Glutamat-Gockel, der bei der romantischen Rundfahrt
auf dem biologisch toten Huangpo-Fluss um ihre knusprigen Flügel
anhält, um sie noch ein letztes Mal zu vergewaltigen ("Eklig,
aber würzig!", FAZ).
Grösstes
Aufsehen erregte allerdings das erste Buch von Miau Miau mit
dem Titel "Der grosse Sprung in der Schüssel",
eine exakte Réécriture des Welterfolgs "Feuchtgebiete"
von Charlotte Roche. Die Schriftstellerin, eine ehemalige Studentin
der Diktaturwissenschaften in Guangzhou, zeichnet darin ein
kritisches Potrait ihrer geliebten Heimat. Im Mittelpunkt: Der
fleissige Tellerwäscher Dong, der im boomenden China zum erfolgreichen
Wanderarbeiter in der Seidenspinnerei von H&M aufsteigt
und dabei sein Gedächnis in einem Sack Reis verliert. En passant
streift die Autorin - eine von 798 Enkeln des unvergesslichen
Mao - auch die dunklen Kapitel der jüngsten Geschichte. Nichts
bleibt ausgespart, weder der lange Arsch, die Ein-Wind-Politik
noch die katastrophalen Ausdünstungen für die Umwelt durch das
gigantische Staudarm-Projekt. Gerade Miaus Debüt müsste uns
eurozentrischen Sofa-Intelektuellen neue Perspektiven jenseits
der üblichen Schwarz-Weiss-Malerei im schwierigen Dialog
mit China eröffnen. Das Buch kostet übrigens 23 Yan (umgerechnet
drei Wanderarbeiter), besteht zu 99 Prozent aus Polyester und
kann nach der Lektüre in der Friteuse aufgebügelt werden. |