Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (27. September 2009)
 

   Sind Sie auch immer wieder völlig hingerissen von den Erkenntnissen der neuesten Hirnforschung? Es vergeht kein Tag, an dem uns nicht aus einem Wissenmagazin ein durchleuchtetes Hirn entgegenblinkt. Verwurstelte Stirnlappen, endlose Nervenbahnen und heiter vibrierende Neuronenblitze, wohin wir auch schielen.

   Teletubbie-bunt wie unaufgeräumte Kinderzimmer lädt uns die Neuropsychologie, diese Schlüsselwissenschaft der Zukunft, immer wieder ein zu einer Reise ins rätselhafte, hilfslose Ich: Denn was wir denken und wie wir fühlen, ja, wen wir am heutigen Sonntag wählen werden, liegt womöglich gar nicht in unserer Macht. Der Mensch denkt, das Gehirn lenkt. Mit der Abbildung (siehe Bild) präsentieren wir Ihnen zum Beweis das leise und farblich dezent vor sich hinschnurrende Gehirn eiines durchaus erfolgreichen, wenn auch tendenziell manisch-depressiven höheren Angestellten, Besitzer eines Eigenheims (fast abgezahlt) und zweier Geheimratsecken (sicher geerbt), wohnhaft im Speckgürtel einer südwestdeutschen Grossstadt. Der Proband ist Ende vierzig, geht unregelmässig ins Fitnessstudio, ist glücklich geschieden, Vater von ein (oder zwei?) Kindern. Seine Freunde nennt er "Kumpels", und er sagt von sich selbst, er sei "spontan". Er hört gelegentlich im Nachausestau (150 PS, Partikelfilter, Wunderbaum Grüner Apfel) ganz laut Phil Collins oder Jazz for Dinner, schätzt gute regionale Küche, liest am Wochenende Krimis oder fährt ein Rad mit Karbon-Rahmen. Er hat noch immer eine Karottenjeans aus den 80ern im Schrank. Vor dem Schlafengehen träumt er von einer "spontanen" Affäre mit der dunkelhaarigen Assistentin aus der Nachbarabteilung.


   Die Wissenschaftsgläubigen unter uns meinen nun an der Einfärbung des Frontallappens sofort die Wahlabsichten und die Dioptrien ablesen zu können. Doch, liebe Abonnenten von "Bild der Wissenschaft", wir müssen Sie an dieser Stelle enttäuschen. Dieses Bild stellt kein Wechselwählerhirn dar. Sondern den unheimlichen Bakterienteppich in unserem Redaktionskühlschrank.

   Ohnehin kann man den Neuropsychologen nicht mehr trauen. Craig Bennett von der University of California brüskierte die Fachwelt, indem der dieser Tage Fotografien eines hoch aktiven Gehirns veröffentlichte. Die kolorierten Gedankenblitze stammten aus dem Bauch eines modernen Kernspintomographen, wobei der Proband dieses Mal ein Lachs war, ein toter zudem. Bennett wollte damit klar machen, dass bei den Neuropsychologen sogar ein toter Fisch denken kann. Welch eine Blamage.

   Doch in der für ihren kühlen Sachverstand bekannten Redaktion unseres Hauses ist diese Nachricht keine Neuigkeit. Schon seit geraumer Zeit werden bei uns Redakteure wie tote Lachse behandelt. Nur mit dem Unterschied, dass wir einen umgekehrten Beweis erbracht haben. Nacheinander haben wir in den vergangenen Wahlkampfwochen einen scheintoten Kollegen nach dem anderen in unseren tragbaren Küchentomographen geschoben - aber nichts! Keine Farben! Von Konturen oder Windungen keine Spur. Die Gehirne ähnelten vielmehr den federweissen Schaumkronen auf den Wiesn-Krügen, hatten manchmal etwas von der gespenstischen grauen Leere, die man aus der Schädelhöhle von Jens Lehmann kennt. Auch die Frage, ob man sich an irgendeine herausragende Leistung der Grossen Koalition erinnern kann, provozierte ausser einem zufriedenen Grunzen keine Veränderung. Steinmeier, Merkel - ein mnemotechnischer Totalaausfall.

   Lediglilch ein Hirn in der Midlife-Crisis produzierte spontan einige violette Gedankenfunken, als die Signalwörter "brünett" und "mandeläugig" fielen. Das Scannerbild ergab ein seltsames Muster, dass sich bei genauerer Betrachtung als aktueller Notfahrplan der Berliner S-Bahn entpuppte. Das Bild liegt nun im Kühlschrank. Warum, haben wir vergessen.
 

 

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