Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (30. August 2009)
 

   Die Kartoffel (siehe Bild) ist ja ungemein beliebt in unserem Land. Trotz ihres Migrationshintergrunds gilt sie in weiten Teilen Westdeutschlands als assimiliert und gesellig, eine knollige Schönheit mit weichen Rundungen, bräunlichem Teint, ländlichen Wurzeln und festkochendem Akzent. Wann und wie die willige Ausnutzpflanze zu uns kam, ist bis heute nicht genau geklärt, doch aufgrund eines schmackhaften Duldungsrecht fühlt sie sich mittlerweise heimisch.



   Solanum tuberosum lungert gerne am Feierabend in verwahrlosten Hauseingängen herum, schmökert in den Partnerschaftsanzeigen von "Hurriyet" oder "Vecernji List" und trinkt schon mal einen über den Durst. Manchmal, wenn es hoch hergeht und die Alcopops kreisen und rüde Kartoffelkäferpranken nach ihr grapschen, lässt sie sich bereitwillig am Tresen einer ekligen Pommesbude verknupsern. Doch wer will dem frühreifen Nachtschattengewächs diese moralischen Auswüchse fern der Heimaterde verdenken? Sie ist hungrig nach Liebe, rast oft nachtts sinnlos im wummernden 3er-BMW mit Concorde-Spoiler samt zweifelhafter Begleitung durch unsere flurbereinigten Innenstädte, neigt zu mehligen Depressionen, Schwerhörigkeit, Scheckkartenbetrug und ungewollten Ablegern. Tagsüber ackert unsere Kartoffel zu unwwürdigen Bedingungen, spielt in unserer Welt nur eine gering geschätzte Beilagenrolle, schuftet stattdessen in McJobs, bei billigen Krokettenzwirblern oder schwitzt als fallen gelassener Chipskrümmel zwischen den struppigen Schwarten einer Unterschichtlerwampe. Nur wenige ihrer Sorte entkommen einer arrangierten Ehe mit einer Chauvinistischen Knoblauchsosse und schaffend en sozialen Aufstieg, ergattern einen der Mineralstoffhaltigen, ökologisch abbaubaren Bildschirmarbeitsplätze auf einem Demeter-Feld oder im international renommierten Feuilleton unserer Redaktion. Doch dank des ausgewogenen Konsenspürees der SPD herrschte in den vergangenen Jahren wenigstens noch Ruhe im unteren Aldi-Regal.

   Damit ist jetzt Schluss. Dieser Tage zeigte die ehemalige Schutzpartei des naturbelassenen und fremdenfreundlichen Gesellschaftseintopf ihre wahre Schale. Der Brandenburger Schandwirtschaftsexperte und Erntehelfer in Frank-Walter Steinmeiers Kompetenzteam, Udo Folgart, hat sich in einem verdächtig schnell gezogenen Interview mit der Westberliner Grünkernpostille "taz" für Masttierhaltung sowie für die Aufzucht und Hege einer neuen, gesunden, genetisch sauberen Kraftfutterkartoffel namens Amflora ausgesprochen. Diese echt deutsche Frucht (Brandenburgisch: Knulle) sei schädlingsresistent, gross wie die Leber eines unbedarften ostdeutschen Neonazis und würde sich äusserlich durch einen blonden Dutt auf dunkelbrauner Oberflächlichkeit vom kunterbunten Allerlei abheben. Amflora sei gerade in den unendlichen, von fremder Saat bereinigten No-go-Zonen des weiten Ostens eine hervorragende Anbauempfehlung, hiess es. Die ostdeutschen Krautbauern reagierten entzückt, während anderswo die SPD harsche Kritik vonseiten empörter Bionade-Schlürfer in Zehlendorf und Prenzlauer Berg erntete. Was soll man sagen? Es ist die Zeit der Wahlkämpfe. Jede Aussage wwird sofort heiss frittiert und mit eiskalter Medienmayonnaise abegschreckt. Der Flurschaden bei der SPD sei nun gewaltig, stöhnten Eingeweihte. Doch im dunklen Grunde schätzt Steinmeier Knullenfachmann Folgart. Immerhin ist der stämmige Agronom mit der genetisch prägnanten Zahnstellung einer von drüben, LPG-erfahren, glücklich verheiratet, bodenständiger Vater zweier Kartoffeln und zudem Vorsitzender des Trägervereins Ländliche Heimatsvolkshochschule am Seddiner See e.V. Mal ehrlich: Mehr Kompetenz braucht es wirklich nicht in unserem platten Land.
 

 

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