Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (16. August 2009)
 

   Dr. Hanswalter Krakenpfitz ist ziemlich angefressen. "Deutschlands Wirtschaft wächst wieder", liest er angewidert und stochert lustlos in seinem unverschämt teuren Sushi vom Hannoveraner Wallach. Meldungen wie diese kommen dem freiberuflichen Sanierer derzeit ungelegen.

   Krakenpfitz greift instinktiv in die Innentasche seines Jacketts von Ermenegildo Zegna und versichert sich, dass sein Konzept noch da ist. Als seine fein gefrästen Fingerkuppen das schwere Büttenpapier berühren, durchflutet Krakenpfitz eine wohlige Wärme. Ja, das war es - ein rund gelutschter Plan, mit dem ein gesunder Mittelständler seine Rendite noch einmal verdoppeln konnte. Perfekt ausformuliert, handschmeichlerisch gerechnet, Argumente, die so fein stechen wie Infusionsbestecke für Babys. Die Hälfte der Belegschaft raus, Qualität runter (merkt eh keiner), Rendite hoch. Die leider notwendigen Freistellungen hat er aufgrund der miesen gesamtwirtschaftlichen Lage ermittelt. Das Modell klingt sehr, sehr seriös. Die Erbengemeinschaft des Mittelständlers, die er in einer halben Stunde treffen wird, kann schon mal die Maybachs ordern, und er kann sich nach dem Deal vier Wochen Puppen tanzen lassen im Club 55 in St. Trop leisten. Geilo, denkt er.

   Krakenpfitz lächelt, dann fällt sein Blick wieder auf die Schlagzeile, und er haut mit der flachen Hand so heftig auf den Tisch, dass ein Schluck des Rioja (1960 Marqués de Murrieta Yagay Reserva) einen hässlichen Klecks auf das blütenweisse Tischtuch malt. Eine wachsende Wirtschaft war das Allerletzte, was er zur Zeit brauchen konnte. Und schon gar keine Berichte darüber. Das führt nur zu unangenehmen Fragen und kostet politisch am Ende bei der Wahl im September Westerwelle Stimmen, der schliesslich die einzige wahre Wirtschaftskontrollpolitik anbieten würde, nämlich keine.



   Krakenpfitz scheucht einen Ober auf, ordert Enzian, Zigarren, ein neues Tischtuch. Dann blättert er in der Zeitung weiter. Vielleicht finden sich ja noch gute Nachrichten. Plötzlich ein Lächeln auf seinen Latexlippen. Louis von Gaal, Trainer von Bayern München, lässt sich von seinen Töchtern zu Hause siezen. Ein Mann mit Format. Hanswalter bestellt einen Tee aus getrockneten Fledermausflügeln und findet eine Meldung, nach der Lilly Becker, die Frau vom Rotblonden, mutmasslich Drillinge erwartet. Stramme Eigenproduktionsquote, sinniert Krakenpfitz, dessen Laune sich langsam aufhellt. Es gibt sie also doch noch, die guten Nachrichten. Die Deutschen spielen Lotto in Italien (siehe Bild) und vergessen so ihr Elend. Das Land erregt sich über eine ganz normale Sau, die in London eine Diamanten im Wert von 1700 Euro geschluckt hat, oder über den Nacken eines 40-Jährigen, der nicht mehr Ferrari fahren kann.

   Gut so, denkt Krakenpfitz, das ist das Klima, das ich brauche. Noch ein paar Knallfröschchen auf Malle und die Volksseele ist beschäftigt. Gut gelaunt wendet er sich dem Wirtschaftsteil zu, was ein Fehler ist. Eine ganze Seite Lob aauf den 100-jährigen Werner Otto. Grauenhaft, denkt Krakenpfitz, hoffentlich ist er der langsam der letzte. Wie Mühlsteine legen sich die Zahlen auf sein Gemüt. Soziale Verantwortung habe Otto, bescheiden sei er, ein Mann, der die Theorie der sozialen Marktwirtschaft lebt. Was für eine Verschwendung, denkt Krakenpfitz.

   Im Augenwinkel erkennt er die gurrend nahende Erbengemeinschaft. Sehnig springt er auf, schlägt die Kalbslacklederschuhe zusammen. It's Showtime.
 

 

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