Dr. Hanswalter Krakenpfitz
ist ziemlich angefressen. "Deutschlands Wirtschaft wächst
wieder", liest er angewidert und stochert lustlos in
seinem unverschämt teuren Sushi vom Hannoveraner Wallach. Meldungen
wie diese kommen dem freiberuflichen Sanierer derzeit ungelegen.
Krakenpfitz
greift instinktiv in die Innentasche seines Jacketts von Ermenegildo
Zegna und versichert sich, dass sein Konzept noch da ist. Als
seine fein gefrästen Fingerkuppen das schwere Büttenpapier berühren,
durchflutet Krakenpfitz eine wohlige Wärme. Ja, das war es -
ein rund gelutschter Plan, mit dem ein gesunder Mittelständler
seine Rendite noch einmal verdoppeln konnte. Perfekt
ausformuliert, handschmeichlerisch gerechnet, Argumente, die
so fein stechen wie Infusionsbestecke für Babys. Die Hälfte
der Belegschaft raus, Qualität runter (merkt eh keiner), Rendite
hoch. Die leider notwendigen Freistellungen hat er aufgrund
der miesen gesamtwirtschaftlichen Lage ermittelt. Das Modell
klingt sehr, sehr seriös. Die Erbengemeinschaft des Mittelständlers,
die er in einer halben Stunde treffen wird, kann schon mal die
Maybachs ordern, und er kann sich nach dem Deal vier Wochen
Puppen tanzen lassen im Club 55 in St. Trop leisten. Geilo,
denkt er.
Krakenpfitz lächelt, dann
fällt sein Blick wieder auf die Schlagzeile, und er haut mit
der flachen Hand so heftig auf den Tisch, dass ein Schluck des
Rioja (1960 Marqués de Murrieta Yagay Reserva) einen hässlichen
Klecks auf das blütenweisse Tischtuch malt. Eine wachsende Wirtschaft
war das Allerletzte, was er zur Zeit brauchen konnte. Und schon
gar keine Berichte darüber. Das führt nur zu unangenehmen Fragen
und kostet politisch am Ende bei der Wahl im September
Westerwelle Stimmen, der schliesslich die einzige wahre Wirtschaftskontrollpolitik
anbieten würde, nämlich keine.

Krakenpfitz
scheucht einen Ober auf, ordert Enzian, Zigarren, ein neues
Tischtuch. Dann blättert er in der Zeitung weiter. Vielleicht
finden sich ja noch gute Nachrichten. Plötzlich ein Lächeln
auf seinen Latexlippen. Louis von Gaal, Trainer von Bayern München,
lässt sich von seinen Töchtern zu Hause siezen. Ein Mann mit
Format. Hanswalter bestellt einen Tee aus getrockneten Fledermausflügeln
und findet eine Meldung, nach der Lilly Becker, die Frau vom
Rotblonden, mutmasslich Drillinge erwartet. Stramme Eigenproduktionsquote,
sinniert Krakenpfitz, dessen Laune sich langsam aufhellt. Es
gibt sie also doch noch, die guten Nachrichten. Die Deutschen
spielen Lotto in Italien (siehe Bild) und vergessen so ihr Elend.
Das Land erregt sich über eine ganz normale Sau, die in London
eine Diamanten im Wert von 1700 Euro geschluckt hat, oder über
den Nacken eines 40-Jährigen, der nicht mehr Ferrari fahren
kann.
Gut so, denkt Krakenpfitz,
das ist das Klima, das ich brauche. Noch ein paar Knallfröschchen
auf Malle und die Volksseele ist beschäftigt. Gut gelaunt wendet
er sich dem Wirtschaftsteil zu, was ein Fehler ist. Eine ganze
Seite Lob aauf den 100-jährigen Werner Otto. Grauenhaft, denkt
Krakenpfitz, hoffentlich ist er der langsam der letzte. Wie
Mühlsteine legen sich die Zahlen auf sein Gemüt. Soziale Verantwortung
habe Otto, bescheiden sei er, ein Mann, der die Theorie der
sozialen Marktwirtschaft lebt. Was für eine Verschwendung,
denkt Krakenpfitz.
Im Augenwinkel erkennt
er die gurrend nahende Erbengemeinschaft. Sehnig springt er
auf, schlägt die Kalbslacklederschuhe zusammen. It's Showtime. |