Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (09. August 2009)
 

   Ist es Ihnen auch schon wieder passiert, verwirrter Leser, dass Sie etwas finden, was Sie gar nicht gesucht haben? Etwas völlig Sinnloses? Bei uns geschieht das dieser Tage andauernd. Nehmen wir zum Beispiel eine an sich harmlos wirkende Redaktionsschublade bei uns. Normalerweise befindet sich darin belangloser Journalistenkrempel: Eine Zweiliterflasche Lambrusco (extra dolce), eine Schlafbrille (mit Kühlgel), eine Walther PKK (für den Spätdienst), Strumpfhalter (von netter Praktikantin), ein bereits 1979 verfasster Nachruf auf Johannes Heesters (für alle Fälle) und eine aufgerissene Tüte mit Riesengoldbären (supersaftig).

   Man greift also wie üblich hinein, gedankenlos, gierig, tastet blind zwischen den Klischees herum wie ein uninspirierter Glossenschreiber, schnappt sich den vermeintlichen Gelatinehappen und fragt sich schon beim ersten Biss, wie viele Jahre wohl ein dermassen ausgehärteter Gummibär bis zu seiner endgültigen Zersetzung benötigt und ob eine neue Serie mit Nachrufen auf gestorbene Gummibärchen das gähnende Sommerloch in unserer allseits geschätzten Premiumzeitung füllen könnte. Doch nach genauerem Lutschen und Zutzeln entpuppt sich das knubbelige, im übrigen lecker nach Paraffin, Propofol und Methanol schmeckende Etwas als die weltweit vermisste Nase von Michael Jackson.

   Sie finden das eklig, unwürdig, geschmacklos? Recht haben Sie. Aber seien wir ehrlich: So geht es nun den ganzen Sommer lang. Ständig kommen einem Trugbilder in die Quere, verwandeln sich aufgebundene Bären in journalistische Nasenpopel, taucht etwas auf, was schon längst weg war. Eben tot. Doch niemand in unserer faltigjungen Gesellschaft will noch das Ende akzeptieren. Das neue Heute ist das Gestern von Morgen.

   Nehmen wir etwa den sympatischen Typen aus dem Nachbarressort, der schon seit Monaten regungslos mit dem Gesicht auf der vollgesabberten Tastatur vor sich hin verweste. Plötzlich springt er auf, reisst sich die Spinnweben aus den Achseln, macht Kniebeugen und zitiert auswendig das vierte Kapitel aus Jean Baudrillards "Agonie des Realen". Dabei hatten wir den untoten Kollegen längs in Würde ad acta gelegt. So wie den Sommer, Opel, Lance Armstrong, Michael Schumacher, Robbie Williams, Bill Clinton, Karlheinz Schreiber, Ulla Schmidts Dienstwagen. Oder dieses scheintote Kapitalismusmonster, das auf einmal wieder zuckt, grunzt, den Staat aussaugt, zynische Bilanzen furzt, noch mehr Menschen auf die Strasse spuckt, um erigierte Konjunkturkurven wie glühende Zigarren auszustellen.



   Ein Vampir (siehe Bild) beisst den nächsten. Doch anstelle von Vampiren spricht die Welt mittlerweise nur noch von Comebacks. Überall finden nur noch Comebacks statt. Nichts gibt sich geschlagen. Nicht einmal die SPD. Das nächste Comeback des Jahres! Die Genossen versuchen einen spektakulären Wiederbelebungsversuch am eigenen bewusstlosen Parteikörper. In der unstabilen Seitenlage des Stimmungstiefs wird zurzeit der Mythos von der Vollbeschäftigung in den Volkskreislauf injiziert, in der Hoffnung, dass sich der Anteil der Retikulozyten auf mehr als zwei Prozent im apathischen deutschen Wählerkadaver erhöht. Retikulozyten sind eine lasche Vorstufe der sozialdemokratischen Blutkörperchen. Doch dieses irreale Reanimationsdoping ist eigentlich verboten. Näheres weiss Claudia Pechstein, die derzeit schwer zu erreichen ist. Sie ist ja mit ihrem Comeback beschäftigt.

   Vielleicht hatte unser Hegel doch recht. Die Geschichte wiederhole sich notwendigerweise, philosophierte er. Das nächste Comeback wäre demnach unausweichlich. Marx hatte allerdings zu Beginn seines "Achzehnten Brunmaire" eine kleine Korrektur der Hegelschen Idee vorgeschlagen. Hegel habe vergessen hinzufügen, dass sich die Geschichte zunächst als Tragödie und dann als Farce ereigne. Um das zu verstehen, sollte man vor dem nächsten Comeback (das gilt auch für die kommenden Dinge der Woche) etwas zu sich nehmen, einen Gummibären vielleicht oder einen Schluck von diesem schmatzigen Lambrusco aus dieser sinnlos vollgestopften Schublade. Oder ist das jetzt die Blutprobe von Pechstein? Hauptsache, man kriegt diese zähe Nase herunter.
 

 

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