Ist es Ihnen auch schon
wieder passiert, verwirrter Leser, dass Sie etwas finden, was
Sie gar nicht gesucht haben? Etwas völlig Sinnloses? Bei uns
geschieht das dieser Tage andauernd. Nehmen wir zum Beispiel
eine an sich harmlos wirkende Redaktionsschublade bei uns. Normalerweise
befindet sich darin belangloser Journalistenkrempel: Eine
Zweiliterflasche Lambrusco (extra dolce), eine Schlafbrille
(mit Kühlgel), eine Walther PKK (für den Spätdienst), Strumpfhalter
(von netter Praktikantin), ein bereits 1979 verfasster Nachruf
auf Johannes Heesters (für alle Fälle) und eine aufgerissene
Tüte mit Riesengoldbären (supersaftig).
Man
greift also wie üblich hinein, gedankenlos, gierig, tastet blind
zwischen den Klischees herum wie ein uninspirierter Glossenschreiber,
schnappt sich den vermeintlichen Gelatinehappen und fragt sich
schon beim ersten Biss, wie viele Jahre wohl ein dermassen ausgehärteter
Gummibär bis zu seiner endgültigen Zersetzung benötigt und ob
eine neue Serie mit Nachrufen auf gestorbene Gummibärchen das
gähnende Sommerloch in unserer allseits geschätzten Premiumzeitung
füllen könnte. Doch nach genauerem Lutschen und Zutzeln entpuppt
sich das knubbelige, im übrigen lecker nach Paraffin, Propofol
und Methanol schmeckende Etwas als die weltweit vermisste
Nase von Michael Jackson.
Sie finden
das eklig, unwürdig, geschmacklos? Recht haben Sie. Aber seien
wir ehrlich: So geht es nun den ganzen Sommer lang. Ständig
kommen einem Trugbilder in die Quere, verwandeln sich aufgebundene
Bären in journalistische Nasenpopel, taucht etwas auf, was
schon längst weg war. Eben tot. Doch niemand in unserer faltigjungen
Gesellschaft will noch das Ende akzeptieren. Das neue Heute
ist das Gestern von Morgen.
Nehmen
wir etwa den sympatischen Typen aus dem Nachbarressort, der
schon seit Monaten regungslos mit dem Gesicht auf der vollgesabberten
Tastatur vor sich hin verweste. Plötzlich springt er auf, reisst
sich die Spinnweben aus den Achseln, macht Kniebeugen und zitiert
auswendig das vierte Kapitel aus Jean Baudrillards "Agonie
des Realen". Dabei hatten wir den untoten Kollegen längs
in Würde ad acta gelegt. So wie den Sommer, Opel, Lance Armstrong,
Michael Schumacher, Robbie Williams, Bill Clinton, Karlheinz
Schreiber, Ulla Schmidts Dienstwagen. Oder dieses scheintote
Kapitalismusmonster, das auf einmal wieder zuckt, grunzt, den
Staat aussaugt, zynische Bilanzen furzt, noch mehr Menschen
auf die Strasse spuckt, um erigierte Konjunkturkurven wie glühende
Zigarren auszustellen.

Ein
Vampir (siehe Bild) beisst den nächsten. Doch anstelle von Vampiren
spricht die Welt mittlerweise nur noch von Comebacks. Überall
finden nur noch Comebacks statt. Nichts gibt sich geschlagen.
Nicht einmal die SPD. Das nächste Comeback des Jahres! Die Genossen
versuchen einen spektakulären Wiederbelebungsversuch am eigenen
bewusstlosen Parteikörper. In der unstabilen Seitenlage des
Stimmungstiefs wird zurzeit der Mythos von der Vollbeschäftigung
in den Volkskreislauf injiziert, in der Hoffnung, dass sich
der Anteil der Retikulozyten auf mehr als zwei Prozent im apathischen
deutschen Wählerkadaver erhöht. Retikulozyten sind eine lasche
Vorstufe der sozialdemokratischen Blutkörperchen. Doch dieses
irreale Reanimationsdoping ist eigentlich verboten. Näheres
weiss Claudia Pechstein, die derzeit schwer zu erreichen ist.
Sie ist ja mit ihrem Comeback beschäftigt.
Vielleicht
hatte unser Hegel doch recht. Die Geschichte wiederhole sich
notwendigerweise, philosophierte er. Das nächste Comeback wäre
demnach unausweichlich. Marx hatte allerdings zu Beginn seines
"Achzehnten Brunmaire" eine kleine Korrektur der
Hegelschen Idee vorgeschlagen. Hegel habe vergessen hinzufügen,
dass sich die Geschichte zunächst als Tragödie und dann als
Farce ereigne. Um das zu verstehen, sollte man vor dem nächsten
Comeback (das gilt auch für die kommenden Dinge der Woche) etwas
zu sich nehmen, einen Gummibären vielleicht oder einen Schluck
von diesem schmatzigen Lambrusco aus dieser sinnlos vollgestopften
Schublade. Oder ist das jetzt die Blutprobe von Pechstein? Hauptsache,
man kriegt diese zähe Nase herunter. |