Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (21. Juni 2009)
 

   Diese Woche erfüllte ein flirrendes Gezwitscher die Atmosphäre, das aber nicht von irgendwelchen Vögeln stammt, die fälschlicherweise für sich reklamieren, diese Form der Kommunikation erfunden zu haben. Zwitschern, neuenglisch twittern, bedeutet, dass jeder der Welt in maximal 140 Zeichen von seinem Handy oder Computer aus mitteilen kann, was er gerade tut oder denkt. Wenn er nichts tut oder denkt, zwitschert er trotzdem.

   Eine Zwitscher-Mitteilung heisst Tweet, und wer's liest, ist ein Follower. Wer meint das sei neu, liegt falsch. Denn unsere Redaktion für Telegraphie fand unlängst gut erhaltene Tweets aus dem Frühmittelalter und einige längst verschollen geglaubte Mitteilungen des Führers ("April 45: heute Klösse mit Tomatensosse gegessen. Lecker. Lage kritisch. Ostfront jetzt mit der Strassenbahn erreichbar. Denke oft an die alten Zeiten: Führer befiel, wir followen.") eingeklemmt zwischen zwei Bänden seiner Tagesbücher. Kaum lüften die Forscher die Deckel, entwichen die Kurzmeldungen sofort. Sollten Sie eine davon aufschnappen, übergeben Sie sie bitte dem Bundesarchiv.

   Unlängst allerdings erreichten die herumschwirrenden Tweets eine derartige Dichte über der Kaschmirgemeinde St. Moritz, dass es zeitweise zu einer totalen Sonnen- und Intelligenzfinsternis kam. Bei der Hochzeit von Boris Becker und Lilly Kerssenberg (siehe Bild) irrten viele Wortfragmente orientierungslos im Zwitschernebel herum, kollidierten und stürzten ab. Grob geschätzt entliessen die Kleincomputer und Handys der Geladenen eine halbe Million Tweets. Unsere Telegraphenredaktion hat einige mit ihren alten Drahtnetzempfänger abgefangen.



   Lilly: Gerade Jawort abgegeben und geweint, Tränen auf Delphine-Manivet-Kostüm wirken wie echt. Bleibt dran! Jan Ullrich: Endlich lädt mich mal wieder jemand ein. Treffen uns alle bei Regina Pacis, bin schon gespannt auf die Schnalle. Brent Fisher (Promipfarrer): Zwischen zwei Bibelzitaten die Glockenmaschine angeworfen. Glocken von Lilly auch super. Noah (Sohn): Für die Scheidung fliege ich aber nicht noch mal von Miami rüber. Lilly: Bin's schon wieder. Pfarrer hält gerade tolle Dingsdapredigt über Liebe und Zuverlässigkeit. Lustig, redet wie die Kühe hier Schweizerdeutsch. Oder dötsch? Wo ist ü auf dem Sch****telefon?! Bleibt dran! Boris: Gerade für RTL geweint. Läuft alles super. Im Herbst erscheint mein neues Büch "Würdelos altern". Brent: Gerade Erlaubnis zum Küssen und Antatschen gegeben. Boris: Pfarrer, dieser alte Trottel, braucht ewig. Habe Schweinehunger. Wurstsemmel eingsteckt, komme jetzt aber nicht dran. Zu viele Kameras.

   Brent: Kollekte läuft bombig. Neuen Beichtstuhl aus Tropenholz schon bestellt. Boris: Jetzt gibt's lecker Rindsfilet mit Trüffeln. Schicke nachher die Reste raus. Lilly: Boris verspricht kleines dickes Baby. Bleibt dran! Boris: Dritte Umkleide exklusiv für RTL. Mundgeblasener Nadelstreifenanzug, pro Streifen locker 1233 Euro ausgegeben. Emily, Zimmermädchen: Boris hat Mordshintern, trotz Streifen. Studiert vor dem Spiegel Gesichter ein und kratzt sich sonst wo. Boris: Wurstsemmel immer noch da. Hab sie rausgetwittert.

   Unmittelbar nach dieser Meldung brach das digitale Netz über der Schweiz zusammen, da die Wurstsemmel mehr als 140 Kilokalorien hat und damit als Supertweet gilt. Sie befindet sich jetzt in der Obhut unserer Redaktion und kann dort besichtigt werden.
 

 

Zurück