Diese Woche erfüllte ein
flirrendes Gezwitscher die Atmosphäre, das aber nicht von irgendwelchen
Vögeln stammt, die fälschlicherweise für sich reklamieren, diese
Form der Kommunikation erfunden zu haben. Zwitschern, neuenglisch
twittern, bedeutet, dass jeder der Welt in maximal 140 Zeichen
von seinem Handy oder Computer aus mitteilen kann, was er gerade
tut oder denkt. Wenn er nichts tut oder denkt, zwitschert
er trotzdem.
Eine Zwitscher-Mitteilung
heisst Tweet, und wer's liest, ist ein Follower. Wer meint das
sei neu, liegt falsch. Denn unsere Redaktion für Telegraphie
fand unlängst gut erhaltene Tweets aus dem Frühmittelalter und
einige längst verschollen geglaubte Mitteilungen des Führers
("April 45: heute Klösse mit Tomatensosse gegessen. Lecker.
Lage kritisch. Ostfront jetzt mit der Strassenbahn erreichbar.
Denke oft an die alten Zeiten: Führer befiel, wir followen.")
eingeklemmt zwischen zwei Bänden seiner Tagesbücher. Kaum lüften
die Forscher die Deckel, entwichen die Kurzmeldungen sofort.
Sollten Sie eine davon aufschnappen, übergeben Sie sie bitte
dem Bundesarchiv.
Unlängst allerdings
erreichten die herumschwirrenden Tweets eine derartige Dichte
über der Kaschmirgemeinde St. Moritz, dass es zeitweise zu einer
totalen Sonnen- und Intelligenzfinsternis kam. Bei der Hochzeit
von Boris Becker und Lilly Kerssenberg (siehe Bild) irrten viele
Wortfragmente orientierungslos im Zwitschernebel herum,
kollidierten und stürzten ab. Grob geschätzt entliessen die
Kleincomputer und Handys der Geladenen eine halbe Million Tweets.
Unsere Telegraphenredaktion hat einige mit ihren alten Drahtnetzempfänger
abgefangen.

Lilly:
Gerade Jawort abgegeben und geweint, Tränen auf Delphine-Manivet-Kostüm
wirken wie echt. Bleibt dran! Jan Ullrich: Endlich lädt
mich mal wieder jemand ein. Treffen uns alle bei Regina
Pacis, bin schon gespannt auf die Schnalle. Brent Fisher
(Promipfarrer): Zwischen zwei Bibelzitaten die Glockenmaschine
angeworfen. Glocken von Lilly auch super. Noah (Sohn): Für
die Scheidung fliege ich aber nicht noch mal von Miami rüber.
Lilly: Bin's schon wieder. Pfarrer hält gerade tolle Dingsdapredigt
über Liebe und Zuverlässigkeit. Lustig, redet wie die Kühe hier
Schweizerdeutsch. Oder dötsch? Wo ist ü auf dem Sch****telefon?!
Bleibt dran! Boris: Gerade für RTL geweint. Läuft alles
super. Im Herbst erscheint mein neues Büch "Würdelos altern".
Brent: Gerade Erlaubnis zum Küssen und Antatschen gegeben.
Boris: Pfarrer, dieser alte Trottel, braucht ewig. Habe Schweinehunger.
Wurstsemmel eingsteckt, komme jetzt aber nicht dran. Zu viele
Kameras.
Brent: Kollekte läuft
bombig. Neuen Beichtstuhl aus Tropenholz schon bestellt.
Boris: Jetzt gibt's lecker Rindsfilet mit Trüffeln. Schicke
nachher die Reste raus. Lilly: Boris verspricht kleines
dickes Baby. Bleibt dran! Boris: Dritte Umkleide exklusiv
für RTL. Mundgeblasener Nadelstreifenanzug, pro Streifen locker
1233 Euro ausgegeben. Emily, Zimmermädchen: Boris hat
Mordshintern, trotz Streifen. Studiert vor dem Spiegel Gesichter
ein und kratzt sich sonst wo. Boris: Wurstsemmel immer
noch da. Hab sie rausgetwittert.
Unmittelbar
nach dieser Meldung brach das digitale Netz über der Schweiz
zusammen, da die Wurstsemmel mehr als 140 Kilokalorien hat und
damit als Supertweet gilt. Sie befindet sich jetzt in
der Obhut unserer Redaktion und kann dort besichtigt werden. |