Mit den ersten wärmenden
Strahlen der Maisonne zeigt sich jetzt auf den Strassen wieder
ein Bewohner unserer Städte und Dörfer, der sich über den Winter
in seine gut beheizte Wohnhöhle zurrückgezogen und dort Fettreserven
für die kommenden aktiven Monate angelegt hatte. Es ist der
Sonntagsfahrer, dem der Volksmund viele Legenden andichtet.
So sagt man, der Sonntagsfahrer haben weder Augen noch ein Gesicht.
Das ist natürlich nicht der Fall, doch ein Körnchen Wahrheit
steckt in jedem Volksglauben.
Einen
Sonntagsfahrer erkennen allenfalls bestens geschulte Beobachter
im Entgegenfahren. Erst wenn man sich hinter einem Fahrzeug
wiederfindet, das sich in behäbigen Tempo und vorsichtig über
die Strassen tastet, weiss man sicher: Aha, ein Sonntagsfahrer.
Die Legende, er habe kein Gesicht, rührt daher, das man ihn
stets nur von hinten oder allenfalls im Profil sieht, wenn er
mit lebhaften Fingerzeigen seinen Weggefährten die Sehenswürdigkeiten
des umgebenden Reviers erklärt.
Früher
war der Sonntagsfahrer mit grosser Sicherheit an einem Hut mit
Krempe zu erkennen, den er auf dem Kopf trug. Doch der Konkurrenzdruck
modernerer Lebensformen hat den huttragenden Sonntagsfahrer
an den Rand der Gesellschaft und in dünn besiedelten Gebiete
zurückgedrängt. Artenschützer fürchten nicht ohne Grund, dass
er in diesen isolierten Populationen genetisch verarmt und vom
Aussterben bedroht ist.
Auch der Mythos
der fehlenden Augen fusst auf den Beobachtungen nachfolgender
Autofahhrer: Man erhascht nie einen Blick des SOnntagsfahrers
in den Rückspiegel, weil er stets auf die Strasse vor ihm oder
auf seine Mitfahhrer fixiert ist. Warum der Sonntagsfahrer das
Orientierungsinstrument Rückspiegel nicht benutzt, ist unter
Verhaltensforschern umstritten. Ebenso wenig ist über Ziel und
Zweck seiner meist kurzen Streifzüge über Nebenstrassen bekannt.
Dass diese Ausflüge Balz und Paarung dienen, schliesst die Forschung
aus biologischen Gründen aus. Der Sonntagsfahrer hat die Aufzucht
eigenen Nachwuchses längst abgeschlossen, tritt in seinem Familienverband
allenfalls noch als Aufsichtsperson und Spielkamerad für die
Enkelgeneration in Erscheinung.
Einigkeit
herrscht in der Wissenschaft aber darüber, dass das vermehrt
mittägliche Auftreten von Sonntagsfahrern eindeutig der Futtersuche
dient, wobei Ausflugslokale in ländlicher Umgebung als bevorzugte
Futterstellen gelten dürfen. Den weg dorthin legt der Sonntagsfahrer,
der sich nur selten weit von seiner Wohnhöhle entfernt, konzentriert
zurück. Allerdings überrascht er oftmals mit abrupten Brems-
und Abbiegemanöver, weshalb sich für nachfolgende Fahrzeuge
ein Sicherheitsabstand empfiehlt.
Der
Sonntagsfahrer ist ein in Grenzen geselliges Wesen. In einem
Sonntagsfahrerauto ist in der Regel ein Sonntagsfahrerpärchen
unterwegs, in Ausnahmefällen lässt sich ein zweites Pärchen
auf der Rückbank beobachten, das interessiert die vorsichtige
Erkundung der Umgebung verfolgt. Mehrere Sontagsfahrerautos
im Konvoi sind selten anzutreffen.
Dennoch
sind die Mahnungen des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu),
der Sonntagsfahrer gehöre zu den im Bestand bedrohten Arten,
stark übertrieben. Noch nie waren so viele Menschen wie heute
jenseits ihres aktiven Berufslebens im Besitz von Führerschein
und Fahrzeug. Ihre Zahl wird weiter steigen, weshalb der Sonntagsfahrer-Bestand
auf Jahrzehnte hinaus als gesichert gelten darf. |