Schräge Welt. Bis vor ein
paar Tagen noch schlurften alle wackeren Schwabenseelen morgens
grätig aus dem noch nicht ganz abbezahlten Häusle, weil unten,
im Keller, die Heizung mit fauchender Entschlossenheit sauteueres
Heizöl verbrannte, damit Frau und Kinder im Bad nicht auf den
Fliesen festfrieren. Kalt war's im Ländle, ungemütlich, widerlich,
und selbst die vertraglich gutgelaunten TV-Wettermelder konnten
nicht mehr plausibel machen, warum nach einem Misttief mit
Regen aus West sofort ein Misttief aus Nord mit Kaltluft
und Schnee folgte, wo doch eigentlich schon Frühling war.
Und
nun - auf dem Feldberg, immerhin fast 1500 Meter hoch, schmilzt
der Rekordschnee vom März im Rekordtempo, und in den Tälern
ist binnen Tagen so was wie Hochsommer geworden. So geht es
doch auch nicht. Erst saukalt, dann bullenheiss, dabei dachten
wir immer, in Zeiten der grossen Koalition und windelweicher
Kompromisse gäbe es gar keine Extreme mehr.
Aber
gut, warm ist besser als kalt und vor allem billiger, weil der
Brenner im Keller seit vier Tagen die meiste Zeit ergeben schweigt.
Dafür müssen wir jetzt leider wieder ertragen, dass mit der
Sonne auch alle im langen Winter vergessenen Scheusslichkeiten
des Alltags brutal in unsere geblendeten Augen stechen.
Ganz
vorne - auch im Jahr 2009 gibt es noch Menschen, vorwiegend
Männer, die jetzt im Frühling ihre winterkäsigen Beine unrasiert
aus peinlichen Dreiviertelshorts lugen lassen. Und wenn dann
noch Strassenpfosten in Tennissocken mit rotem, mit blauem oder
mit rot-blauem Bund enden (siehe Bild), ist das optische Desaster
perfekt.

Manchmal
geht es auch schon oben los. Erste Beobachtungen in den Innenstädten
zeigen, dass mit der Sonne auch wieder dunkle Brillen getragen
werden, die 2009 bei Frauen so gross sein müssen, wie eine Tauchermaske
und auch so ähnlich aussehen. Die Bügel sind dabei ungefähr
so dick wie die Stäbchen, mit denen der Onkel Doktor die Zunge
nach unten drückt, und kleine Kinder fangen an zu brüllen
wenn so eine Tante in den Stubenwagen guckt.
Männer
sind trotzdem schlimmer, was die Renaissance des Polohemds beweist,
das beim ersten warmen Sonnenstrahl aus dem Einbauschrank geholt
wird oder im Supermarkt für 4,99 zu haben ist. Normalerweise
sind diese Hemden aber gut 15 Jahre alt, waren einmal dunkelblau
und von der Krokodil-Firma. Das ginge ja noch, aber es scheint
chic zu sein, dass man die Kragenshirts mit Krawatten kombiniert,
bei denen ein wässriges Blassrosa hip ist. Unsere Redaktion
"Optik und Chaos" hat bei Feldstudien einen Mann entdeckt,
der ein blaues Polo mit rosa Krawatte zur weissen Hose trug.
Die Füsse steckten sockenlos (zum Glück) in Schuhen, die so
ähnlich heissen wie ein Wintergetränk aus Rum und Wasser und
aussehen, als seien es die Pantoffel des Michelin-Männchens.
Gesehen
haben wir das Arrangement des Grauens in einem nagelneuen Biergarten,
der letzten Scheusslichkeit, über die wir heute berichten
wollen. Sie schiessen ja wie Pilze aus dem Boden. Wo gestern
noch eine Industriebrache oder ein Hinterhof einsam vor sich
rottete, sitzen jetzt Menschen zwischen dünnen Jungbäumchen
auf unbequemen Holzbänken an wackligen Tischen, essen kätschige
wilde Kartoffeln und trinken kohlensäurearmes Hefe hell, das
man selbst holen muss. Ein Trost - in sechs Monaten ist Winter. |