Dass Deutschland seit dem
frühen Mittelalter in weiten Teilen unterkellert wurde, ist
bekannt. Mittlerweise erstrecken sich die Katakomben gewerblicher
und privater Immobilien über das ganze Land und haben sich von
einem Profanort zu einer mystischen Stätte, zu einem dunklen
Abgrund entwickelt. Einst nutzte man den Keller, um die
in Einmachgläsern eingelagerten Familiengeheimnisse aufzubewahren,
später sperrte man unbotmässige Kinder ins Finstere, jetzt sind
es faule Wertpapiere, die dort eingelagert sind und langsam
ans Tageslicht geraten. Ihr Gestank ist aber so schrecklich,
dass selbst für die Suchhunde der Aufenthalt in den Kellerräumen
grosser Banken nur sekundenweise möglich ist.
Doch
es sind nicht die Banken alleine, aus deren Kellern es schauerlich
heraufmieft. Wer wie unsere Redaktion regelmässig bei Prominenten
oder unbescholtenen Privatleuten im Keller herumschnüffelt,
entdeckt oft Grauenhaftes.
So fanden
sich jüngst im Untergeschoss des Hamburger Reihenhauses von
Helmut Schmidt die Überreste aller politischen Gegner, die der
Ex-Kanzler im Laufe seiner Arbeit niedergeraucht hatte. Viele
von ihnen wählten freiwillig die Katakombe als zum Aufenthaltsort,
weil sie ihre intellektuelle Unterlegenheit der Öffentlichkeit
nicht mehr zumuten wollten. Ganz in der Nähe, in der Hamburger
Villa Dieter Bohlen, dünstet in einem schallisolierten Lochkeller
das bisher unveröffenlichte Liedgut des Komponisten vor sich
hin. Das hochkontaminierte Material sollte bereits vor
Jahren in das Versuchszwischenlager Asse II verbbracht werden.
Das scheiterte jedoch am erbitternten Protest der Anwohner.

Harald
Juhnke (siehe Bild), bis zu seinem Tod Vorreiter der
Kellerei-Kultur, wurde Opfer einer der ersten Spekulationsblasen,
als als die Preise für Leergut überraschend in den Keller gingen.
Immerhin: Die sauber geleerten Flaschen im Bauch seines Berliners
Anwesens werden nach und nach aufgearbeitet und der Öffentlichkeit
zugänglich gemacht.
Eng wird es dagegen
unter den Amtssitzen in Washington und Moskau, weil die dort
angesammelten Kellerleichen das Volumen eines Stausees
erreicht haben. Ihre Lagerung führt zu tektonischen Verschiebungen,
die im Zusammenspiel mit den austretenden Faulgasen aus den
Bankgrüften den globalen Klimawandel noch verschlimmern. Damit
nicht genug: Es soll sogar Menschen geben, die im Keller alte
Ausgaben dieser Zeitung horten, um sie irgendwann einmal gegen
uns zu verwenden.
Das ganze Ausmass
der Verkellerung in Deutschland ist also nicht absehbar. Kaum
denkt man, es wird ein wenig heller, die Börse gewinnt 0,2 Prozentz,
das Dschungelcamp ist zu Ende oder der Kopfschmerz nach dem
vierten Bier lässt nach, schwups verdunkelt sich alles, und
man stellt fest, dass man allenfalls zwei Stufen auf der Kellertreppe
zurücklegen konnte, und fühlt noch immer den gierigen, um
den Hals geschlungenen Arm des Moders.
Wir
würden Ihnen gerne die Hand reichen, um näher zum Tageslicht
zu kommen, liebe Leser. Doch es hift nichts: Erst müssen wir
unseren eigenen Redaktionskeller aufräumen. Seit Wochen dampft
von dort ein strenger Geruch heraus. Es wird doch nicht
dieser Leserbriefschreiber sein, den wir damals zu einer Führung
eingeladen hatten ... |