Alles redet diese Woche
von der Piraterie, einer alten und traditionsreichen Branche.
Der Pirat, meist im Aggregatzustand als holzbeiniger, verschwitzter
Schlagetot auftretend, war lange vergessen, ist aber in Zeiten
der Finanzkrise mit seinem Geschäftsmodell wieder gefragt. Die
Branche gilt als äusserst kapitalstark und wird deshalb nach
Ansicht von Analysten in Kürze die Bürgschaft über die meisten
europäischen Schlüsselindustrien übernehmen.
Unserer
Redaktion liegt das autobiografische Werk eines somalischen
Seeräubers vor, das bereits jetzt als Klassiker der Wirtschaftsliteratur
gilt ("Folge deiner Vision! 50 Wege vom Tagelöhner zur
eigenen Piraterie", von Abdullah al Bashir, siehe Bild).
Es ist auf dem deutschen Büchermarkt vergriffen, kann aber in
der somalischen Nationalbibliothek gegen Vorlage einer Handfeuerwaffe
ausgeliehen werden.
 Al-Bashir
schildert zunächst die Anfänge seines Gewerbes: Mit Allahs Hilfe
gelernt, wie man lebende Fische kapert und ausplündert. Ist
eigentlich keine Arbeit. Sollte das auch bei Schiffen möglich
sein? Nicht auszudenken! Monate später: Endlich! Heute einen
zypriotischen Gemüsekahn geentert, nachdem wir ihn stundenlang
mit Wassermelonen beworfen hatten. Reiche Beute! Avocados und
Gewürze gegen ein chinesisches Schiessgewehr eingetauscht. Ein
Jahr später: Erfolg ist planbar! Bin jetzt Mitglied in der somalischen
Handelskammer, geniesse als Pirat höchstes Ansehen und habe
einige Frauen für die Buchhaltung eingestellt. Am Marketing
muss ich noch arbeiten. Lese gerade das Buch von Daniel Defoe:
"Life, Adventures and Piracies of Caption Singleton".
Tolle Story. Will auch ein grosses Schiff und Lederstiefel.
Wieder ein Jahr später: Grosses Glück, Allah sei Dank. Heute
ohne Kompass auf See herumgeirrt, dabei durch Zufall eine Segelyacht
mit vier Tennisspielern, drei Modeschöpfern und einer Schauspielerin
gerammt. Hunderte Kreditkarten erbeutet! Modeschöpfer meint,
hohe Stiefel sind Chichi. Empfielt statt dessen H & M. Kann
man die auch kapern? Zum ersten Mal in einem richtigen Bett
geschlafen und Gin Tonic probiert. Dabei acht Mann verloren.
Mit den Reiseschecks der Yachtbesitzer eine Panzerfaust mit
russischer Gebrauchsanleitung gekauft.
Eine
Woche darauf: Russische Anleitung erklärt nicht, aus welchem
Loch die Granate kommt. Schöne Segelyacht kaputt. Egal. Denke
in grösseren Dimensionen, seit ich am Horizont immer öfter die
Silhouetten riesiger Öltanker sehe. Wenn man nur in die Nähe
käme! Dann, vor wenigen Wochen: Den "Roten Corsar"
auf DVD gesehen. Finde mich besser aussehend als Burt Lancaster.
Schliesslich der letzte Eintrag: Allah ist gross! Endlich den
Riesentanker geentert. Griechischer Kapitän kam zu nahe an unsere
Küste, weil er Schnaps kaufen wollte. Besatzung versuchte, uns
mit Hochfrequenzgeschützen zu vertreiben. Lächerlich! Im Vergleich
mit dem Muezzin klingt die Schallkanone wie Musik. Mit den griechischen
und zypriotischen Matrosen Karten gespielt, dabei zehn Millionen
Dollar verloren. Wenig später den Tanker verkauft und hundert
Millionen Dollar in bar erhalten. Mein Lebenswerk ist vollendet.
Jetzt sollen andere ran. Obwohl ... sehe häufig die schicken
Fregatten aus Deutschland. Was mag da alles zu holen sein? Und
als Bewaffnung nunr Megafone. Vieleicht noch ein letzter Coup
mit Allahs Hilfe? Hier enden die Aufzeichnungen. |