Kaum ein anderes Kleinsäugetier
hat über Jahrzehnte eine so grosse Bedeutung für den Menschen
erlangt wie das Meerschweinchen. Gerade in unserer hoch
technisierten, kühlen Zeit stellen die knuffigen Nager ein wichtiges
Bindeglied zwischen Natur, Technik - und Kinderzimmer dar.
Allerdings
hat es lange gedauert, bis die wahren Bedürfnisse der süssen
Grunzer allgemein bekannt wurden. Früher wurde das aus Südamerika
stammende Cavia aperea gerne als handlicher Einweg-Wischmop
(saugstark, aber laut), als biologische Wurf- und Knabberwaffe
im Volkssturm (willig, aber weich) soie als saftiger, von Grillfreunden
sehr geschätzter Fleischklops (Schwäbisch Hällisches
Meerschwein, aber klein) missbraucht.
Sein
psychosozialen Kompetenzen wurden erst spät erkannt und zunächst
vor allen in kinderreichen konserativen Haushalten eingesetzt.
Fortan beschäftigten sich Millionen deutscher Streber und Stubenhocker
zwwischen sieben und zwölf Jahren mit der Zucht und Hege der
possierlichen Tiere - zur Freude überforderter Eltern und Zoohändler.
Gemeinsames Spielen, Koten, Kuscheln und Lernen, alles kein
Problem. Die wuseligen Purzel (siehe Bild) entpuppten sich als
kenntnisreiche Leseratten (Isabel Allende, Carlos Fuentes),
sie betreuten Hausaufgaben, liessen sich zu Elternbeiräten wählen
und verwalteten die Reistafelbestände in migrationsfernen Familien.
Alleinerziehende Mütter und Väter hatten einen verlässlichen
Partner in allen Erziehungsfragen. Man knüpfte sogar des Öfteren
amouröse Kontakte, nachdem das zufriedene Kind abends
ins Bett gebracht wurde. Die Zukunft unserer Kinder schien bis
auf Weiteres gesichert.

Doch
in dieser Woche gingen Zigtausende Meerschweinchen auf die Strassen
deutscher Grossstädte. Vereinzelt gesellten sich gewaltbereite
Goldhamster hinzu und lieferten sich Strassenschlachhten mit
den Ordnungskräften. Offenbar hatten sie die Backen endgültig
voll und schwänzten kollektiv die morgendliche Fütterung. Ein
riesiger, streng riechender Fellteppich wogte aber meist
friedlich durch die Häuserschluchten und demonstrierte für grössere
Schulklassen, für den Erhalt des dreigliedrigen Schulsystems
und - mehr Kindheit.
"In den Kinderzimmern
herrscht ein unsäglicher Druck", klagte ein geschlechtsreifes
Rosettenmeerschweinchen bei der Demonstration auf dem Stuttgarter
Marktplatz. Sein Kind - ein autistischer Grundschüler aus dem
Schwarzwald - bekäme es überhaupt nicht mehr zu Gesicht. "Die
Kinder denken nur noch an eines: Chatten und Karriere.
Das sind doch verkorkste Erwachsene. Lebendige Prepaid-Karten!"
Ein aus Ulm angereistes Teddymeerschweinchen sieht die Ursache
für das Verschwinden der Kindheit in der elitären, unbewussten
Forderung der Eltern und der Gesellschaft, ihre Kinder müssten
alle aufs Gymnasium. "Abi für alle? Quatsch. Als würden
mehr Lehrer und kleinere Klassen automatisch mehr Leistung bringen."
Kritik
kam von der Gewerkschaft Käfighaltung und Wissenschaft,
die in dem Streik nur ein vorgeschütztes Interesse am Wohl der
Kinder sieht. "Diese Schweine fürchten doch den sozialen
Abstieg au der Mittelschicht", so ein Sprecher. Aktuelle
Arebitsmarktzahlen belegen das: Immer mehr Meerschweinchen verdingen
sich inzwischen als Ohrenschützer, Fellmützen und Boxer-Suspensorien. |