In diesen turbulenten Tagen
verschwinden Menschen hinter nackten Zahlen und schlaffen Kurven.
Doch was geht wirklich vor in den Herzen und Seelen all jener,
die von heute auf morgen ihr Gesicht verloren haben? Hier das
geheime Tagebuch eines ganz normalen deutschen Fondsmanagers
(siehe Bild), dem seine Welt in dieser Börsenwoche abhanden
kam.
Montag, 6. Oktober. Nachmittags
im Büro. Langweilig. Schaute den Fensterputzern bei der Arbeit
zu. Winkewinke. Ja, ja, hätten sie halt was ordentliches gelernt.
Wieder null Bock auf Telefonsex. Vielleicht weil Fräulein Dodel,
meine Sekretärin, neuerdings Hosenanzüge trägt. Ins Netz gegangen,
um mich abzulenken. Spielte ein wenig Partypoker, trieb beim
Omaha High drei Pötte in die Höhe, stieg aber vor dem Showdown
aus und bestellte nebenbei ein knappes Dutzend Zegna-Krawatten
(die mit den geometrischen Mustern). Entdeckte mein scharfes
Profil in den klaren Scheiben, dahinter verschwommen die erigierten
Banktürme unserer Stadt. Gott, bin ich geil. Gerade, als ich
mich entspsnnt hatte, rief jemand an, ein Kunde oder sowas.
Der brüllte wie ein brünftigerGibbon, faselte was vom Dow Jones,
der unter zehntausend gefallen sei. So ein Stress. Musste irgendwie
runterkommen und bestellte bei Frau Dodel einen chinesischen
Gelbtee mit minimaler Fermentation und zog eine Linie. Danach
Feierabend und ab ins Gym. Puh.
Dienstag,
7. Oktober. Ich spürte es: Irgendwas Gewaltiges passiert
da draussen, aber was. In der Post fand ich ein Paket mit einem
rottenden Schweinerüssel, daran ein ausgeschnittenes Foto von
mir aus der Who's-Who's-Rubrik der "Financial Times".
Gott, seh ich gut aus. Dann wieder dieser aggressive Kunde am
Apparat. Versuchte, ihn zu beruhigen, erklärte, dass ich sein
komplettes Vermögen vor einigen Minuten umgeschichtet hatte,
und zwar auf Anteilscheine südisländischer Schafherden. Keine
Antwort. Hörte noch einen dunpfen Schlag im Hintergrund.

Mittwoch,
8. Oktober. Gemeinsames Frühstück im Penthouse. Ist doch
schön, im Kreis der Familie. Echte Werte, darauf kommt's an.
Während ich aus den Augenwinkeln unseren drei blutjungen georgischen
Putzfrauen beim Simmultanpolieren unseres Ostindischen Palisanderparketts
zuschaute (278 Quadratmeter, 2,50 Euro in der Stunde, kniend),
verkündete ich meiner lieben Brut, dass wir nun alle kürzer
treten müssen. Mein Krisenplan: Ich kündige mein Yachtmagazin-Abo
und schicke meine Frau und die dreizehnjährige Tochter ab sofort
auf den Strich. Widerwilliges Murren. Das kleine Luder verwies
auf Merkel und irgendwelche staatliche Garantien. Vor Lachen
tropfte mir das halbe Bio-Ei auf meine neue Krawatte (die mit
den geometrichen Mustern). Den Verlust werde ich ihr vom Lohn
abziehen. Später hüpfte der Dax auf über 5300. Na also. Das
mit dem Yachtmagazin überlege ich mir nochmal.
Donnerstag,
9. Oktober. Büro, Büro. Aus der Post stank es wieder grässlich.
Las gerade schmunzelnd eine Monografie über den Dreissigjährigen
Krieg, als mir Frau Dodel (wieder im Hosenanzug) richig dumm
kam. Der Dax sei im freien Fall und wie ich so ruhig sein könne
und so was. Ausserdem stünde so ein Typ draussen bei ihrem Tisch,
mit 'ner Axt. War ich wütend! Mein Blackberry traf sie an der
Schläfe. Wahrscheinlich hörte sie gar nicht mehr, wie ich sie
feuerte. Nach der Flucht über die Feuerleiter wurde mir schwindelig,
ich schwitzte, sah aber immer noch verdammt gut aus. Ja, ich
hatte einen Fehler gemacht. Aber welchen? Zu Hause fand ich
einen Zettel meiner Frau. Sie wolle zukünftig für einen anderen
Fondsmanager anschaffen gehen, so ein Leben nur mit Knock-Out-Zertifikaten
könne sie sich nicht mehr vorstellen. Das war's.
Freitag,
10. Oktober. Dax wieder runter, aber bei mir ging es rauf.
Bewarb mich telefonisch hier bei der Redaktion und wurde sofort
genommen: Als leitender Redakteur im Ressort "Horoskop,
Derivate und Krawatten". Bingo! Und mit dem Geld meiner
Tochter haut das schon hin. |