Der Strafbestand der Langeweile
wird ja in den westlichen Gesellschaften hart geahndet, denn
das Volk giert nach Unterhaltung. In den USA hat man das erkannt,
wie der Parteitag der Demokraten zeigte. In Deutschland verachtet
man derlei Oberflächigkeit. Politik spielt sich in Hinterzimmern
oder Bierzelten ab. Berufspolitiker zeichnen sich durch eine
gewisse Erdenschwere aus, die am späten Abend in einem von Bier
und Detailmühsal genährten Dämmerzustand übergeht. Doch jetzt
wird alles anders. Unserer Redaktion wurde unlängst ein geheimer
Leitfaden zur Politik-Inszenierung zugespielt.
Die
Experten empfehlen, den sakralen Charakter der Politik erfahrbar
zu machen. Für politische Grossereignisse gilt folgender Ablauf:
Um 16:30 steht die Hauptperson vor dem Spiegel im Hotel und
übt einige der Gesichtszüge, die sie nachher benutzen wird.
17:30 Uhr: Die Hauptperson kontrolliert Frisur / Krawatte (siehe
Bild) und unterhält sich ein wenig mit ihrem Teleprompter.

20:30:
Die Hauptperson marschiert ein. Die durch die Halle dröhnende
Musik hat ein Computer aus Verdi, Wagner und diversen Nationalhymnen
zusammendigitalisiert. Es folgt ein breit angelegtes Händeschütteln
(dafür sidn muskulöse Statisten mit Migrationshintergrund herbeigeschafft
worden) und eine Rede, die von Computern entworfen und mit Schlüsselwörtern
wie Familie, Anstand, Sparen, Arbeit, Zukunft durchwirkt ist.
21 Uhr: Kinder im Aggregatszustand grossäugig, sauber und bildungsnah
tauchen auf, Schwarzweiss-Einspielungen aus dem Krieg schaffen
Kontraste.
21:30: Zugeschaltet werden
fakultativ: Ehepartner, andere Kinder, der Papst, der liebe
Gott oder Helmut Schmidt. Ihre Aufgabe: Das erste Tränenmeer
auszulösen. Tränen sind die wichtigste Zutat im Menü der politischen
Grossveranstaltung. Professionelle Tränendrüsendrücker mit einem
Stundenlohn von mehreren Hundert Euro verfehlen nie ihre Wirkung,
zusätzlich sollten an der Decke Tränensäcke mit 3000 Liter Fassungvermögen
montiert sein, die auf Knopfdruck platzen. Teurer Spass, aber
das Geld ist gut angelegt.
Gegen 22
Uhr muss der Abend seinen Höhepunkt erreichen: Die ersten Besucher
geraten jetzt in Ekstase, werden von der Hauptperson gesegnet,
dann nach hinten gereicht. Jetzt muss geschwitzt werden, was
Körperhaftigkeit und kaum gezähmte Sinnlichkeit andeutet. Am
Ende gibt sich die Hauptperson, (bei Männern jetzt ohne Sakko,
mit Schweissflecken von der Grösse eines Baggersees) der Menge
hin und absolviert Umarmungen. Riesige Kuschelgeneratoren springen
an, Wärme fliesst durch die Halle, die Zukunft wird eingeblendet
und riecht nach Vanille, fremde Hände finden einander, die Liebe
schwingt ihr mildes Zepter und ...
...
jetzt müssen wir ausblenden, weil die Tränen kommen. Verdammt,
Politik kann so schön sein! |