Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (06. Juli 2008)
 

   Neulich an der Fleischtheke. Eine Hausfrau klagt: "Mein Pestwurzflur wächst pro Tag locker zwei Zentimeter, ich weiss bald nicht, wie ich die Klamotten bezahlen soll." - "Deine Sorgen möchte ich haben", versetzt die andere. "Ich habe das ganze Haus voller Flussröhrichte, die jede Menge Dreck machen und den ganzen Tag vor der Glotze hängen."

   Dieser von unserer Wissenschaftsredaktion aufgezeichnete Dialog zeigt: Die Hitze vergangener Tage und die Ausdünstungen unzähliger Publik-Viewing-Zonen haben die Luftfeuchtigkeit in Deutschland auf das Anderthalbfache eines handelsüblichen Dampfgarers steigen lassen. Damit einher geht ein explosives Wachstum der Natur: Exotische Pflanzen, im Volksmund invasive Neophyten genannt, drängen sich in die Haushalte und fressen den deutschen Familien die Haare vom Kopf. Kräuter und Sträucher verlassen ihre angestammten Lebensräume und arbeiten plötzlich als Tankstellenpächter, Tagesmutter oder Musikkritiker. Auch in unserer Redaktion wartet ein Miststück von Schlingpflanze darauf, endlich diese Kolumne zu schreiben. Nur ein drohender Wink mit der Redaktions-Astschere schreckt sie noch davon ab.

   Und das ist noch gar nichts: In China hält eine Algenpest die Organisatoren der Olympischen Spiele in Atem. Der grüne Pflanzenteppich bedeckt ein Drittel der für die Wettbewerbe vorgesehenen Wasserfläche (siehe Bild). Einige zehntausend Tonnen von Algen sollen bereits an Land gebracht worden sein. In einer Erklärung fordern sie den Rücktransport in ihr altes Feuchtgebiet und die Anerkennung als Unesco-Weltkulturerbe.



   Das mag hochtrabend klingen, doch haben Pflanzen in der Kultur eine lange Tradition. Zweig, Fichte und Schnitzler gelten als Wegbereiter des modernen Gartenbaus. Die Älteren werden sich noch an den zwölfteiligen Romanzyklus "Im Schatten der Eberesche" von Wolfram Ebner-Eschenbach erinnnern, jenem Autor, der von der Kritik bereits zum Wunderbaum hochgejubelt wurde. Heute ist er längst vergessen. Andere Gewächse beherrschen das öffentliche Leben: Der Beck beispielsweise, eine jovale Fleischtomate mit mindestens vier Kammern, die ganzjährig geeerntet werden kann und bei Bedarf das Blutvergiessen einer ganzen Volkspartei deckt.

   Eng verwandt ist die Lantana Nahlesa, eine efeuartige Gallertrose, die sich in Tümpeln und Gewässern räkelt und träge einen Parteifreund nach dem anderen verschluckt. Das Joachimskraut, im Volksmund auch Musik-Kaiser genannt, ursprünglich zur Kräuterkategorie der Beckmesser gehörend, hat sich in allen kulturellen Sparten breitgemacht und erwürgt mit seinen Tentakeln Inszenierungen und Opernaufführungen wie nix. Der Stachel-Britt, eine in Südfrankreich heimisch gewordene Dreitagesflechte, lebt in Symbiose mit den schönsten Lilien, die er rasch schwängert und mit dem Ausspeien von Giftschleim vor dem Zugriff neugieriger Forscher schützt.

   Die Caesalpinia Sarkozia, ein zum Jähzorn neigender Pfauenstrauch mit fehlenden Wachstumgen, kann mit seinem Gefuchtel in trockenen Sommern Waldbrände auslösen, die er anschliessend mit dem Kärcher löscht. Schlieslich noch der, der ... Doch was ist das? Dies grüne Ding? Mein Hals! ... keine Luft! Die Schlingpflanze! Die Schere! Wo ist sie? Wo??
 

 

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