Neulich an der Fleischtheke.
Eine Hausfrau klagt: "Mein Pestwurzflur wächst pro Tag
locker zwei Zentimeter, ich weiss bald nicht, wie ich die Klamotten
bezahlen soll." - "Deine Sorgen möchte ich haben",
versetzt die andere. "Ich habe das ganze Haus voller Flussröhrichte,
die jede Menge Dreck machen und den ganzen Tag vor der Glotze
hängen."
Dieser von unserer
Wissenschaftsredaktion aufgezeichnete Dialog zeigt: Die Hitze
vergangener Tage und die Ausdünstungen unzähliger Publik-Viewing-Zonen
haben die Luftfeuchtigkeit in Deutschland auf das Anderthalbfache
eines handelsüblichen Dampfgarers steigen lassen. Damit einher
geht ein explosives Wachstum der Natur: Exotische Pflanzen,
im Volksmund invasive Neophyten genannt, drängen sich in die
Haushalte und fressen den deutschen Familien die Haare vom Kopf.
Kräuter und Sträucher verlassen ihre angestammten Lebensräume
und arbeiten plötzlich als Tankstellenpächter, Tagesmutter oder
Musikkritiker. Auch in unserer Redaktion wartet ein Miststück
von Schlingpflanze darauf, endlich diese Kolumne zu schreiben.
Nur ein drohender Wink mit der Redaktions-Astschere schreckt
sie noch davon ab.
Und das ist noch
gar nichts: In China hält eine Algenpest die Organisatoren der
Olympischen Spiele in Atem. Der grüne Pflanzenteppich bedeckt
ein Drittel der für die Wettbewerbe vorgesehenen Wasserfläche
(siehe Bild). Einige zehntausend Tonnen von Algen sollen
bereits an Land gebracht worden sein. In einer Erklärung fordern
sie den Rücktransport in ihr altes Feuchtgebiet und die Anerkennung
als Unesco-Weltkulturerbe.

Das
mag hochtrabend klingen, doch haben Pflanzen in der Kultur eine
lange Tradition. Zweig, Fichte und Schnitzler gelten als Wegbereiter
des modernen Gartenbaus. Die Älteren werden sich noch an den
zwölfteiligen Romanzyklus "Im Schatten der Eberesche"
von Wolfram Ebner-Eschenbach erinnnern, jenem Autor, der von
der Kritik bereits zum Wunderbaum hochgejubelt wurde. Heute
ist er längst vergessen. Andere Gewächse beherrschen das öffentliche
Leben: Der Beck beispielsweise, eine jovale Fleischtomate
mit mindestens vier Kammern, die ganzjährig geeerntet werden
kann und bei Bedarf das Blutvergiessen einer ganzen Volkspartei
deckt.
Eng verwandt ist die Lantana
Nahlesa, eine efeuartige Gallertrose, die sich in Tümpeln und
Gewässern räkelt und träge einen Parteifreund nach dem anderen
verschluckt. Das Joachimskraut, im Volksmund auch Musik-Kaiser
genannt, ursprünglich zur Kräuterkategorie der Beckmesser
gehörend, hat sich in allen kulturellen Sparten breitgemacht
und erwürgt mit seinen Tentakeln Inszenierungen und Opernaufführungen
wie nix. Der Stachel-Britt, eine in Südfrankreich heimisch gewordene
Dreitagesflechte, lebt in Symbiose mit den schönsten Lilien,
die er rasch schwängert und mit dem Ausspeien von Giftschleim
vor dem Zugriff neugieriger Forscher schützt.
Die
Caesalpinia Sarkozia, ein zum Jähzorn neigender Pfauenstrauch
mit fehlenden Wachstumgen, kann mit seinem Gefuchtel in trockenen
Sommern Waldbrände auslösen, die er anschliessend mit dem
Kärcher löscht. Schlieslich noch der, der ... Doch was ist
das? Dies grüne Ding? Mein Hals! ... keine Luft! Die Schlingpflanze!
Die Schere! Wo ist sie? Wo?? |