Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (01. Juni 2008)
 

   Vieleicht haben Sie es nicht gemerkt, aber der Aufschwung ist da. Er ist spürbar. Falls Sie ihn noch nicht entdeckt haben sollten, geneigter Leser, dann befühlen Sie im Aufzug das pralle Wohlstandgesäss jenes Kollegen, der immer Geldsorgen vortäuscht. Lassen Sie sich nicht von Armutsberichten und dem Obdachlosen, der schon seit Wochen vor Ihrer Haustür kampiert, irritieren. Den Menschen geht es prächtig, sie wollen es bloss nicht zugeben. Die Vollbeschäftigung - zum Greifen nahe! Die aktuellen Arbeitslosenzahlen wurden jüngst wie ein Jackpot ausgerufen, und wir alle sind Millionäre der Herzen. 3,28 Millionen! Die allerletzten Hartz-IV-Empfänger fielen sich in die Arme. Alles wird gut.

   Oder auch nicht. Den jeder Erfolg hat auch seine Schattenseiten. Zu wenig Arbeitslose ist nämlich auch schlecht. Die heimische Luftfahrbranche sucht händeringend nach Ingenieuren und Piloten. Tausende fehlen. Immer häufiger sitzt im Cockpit eines deutschen Billigfliegers ein schnell eingelernter Schimpanse (siehe Bild). Die Industrie kämpft um jeden Mann, schickt Headhunter. Auch der geringste Hinweis auf eine mathematische Begabung wird gnadenlos bestraft. Jeden Geringqualifizierten kann es erwischen. Sogar Ausländer. Alte.



   "Das sind Anwerbemethoden wie im 30-jährigen Krieg", wimmert der völlig verängstigte habilitierte Historiker Branimir Cmrckevski (Name nicht geändert), dem unsere Wissenschaftsredaktion schon seit Tagen Asyl gewährt. Der Tageslöhner war mit seinem Leben und den dreizehn Minijobs (macht 500 netto, dazu ein bisschen schwarz) glücklich, sammelte nach Feierabend wie üblich Pfandflaschen, als ihm zwei grobschlächtige Typen von Airbus auflauerten und nach der Quadratwurzel von 144 fragten. "Ich sagte: Habe Frau und elf Kinder. Dann wurde es mir schwarz vor den Augen." Doch bevor das brutale Duo Branimir in ein Grossraumbüro für Tragwerkskonstruktionen pferchen konnte, riss er sich los.

   Weniger Glück hatte Willibald S. Der rüstige 89-jährige aus Unna war der Einzige, der auf einem Airberlin-Flug nach Mallorca die Sicherheitshinweise aufmerksam studierte, es war schliesslich sein erstes Mal. Plötzlich spürte er einen festen Griff am Oberarm. "Seitdem sitze ich ganz vorne und mache täglich fünf Turnarounds, 70 Stunden die Woche. Meine Bingo-Gruppe im Heim kann ich vergessen."

   Also, liebe Leser, wenn Sie auch nicht von diesem Aufschwung profitieren wollen, bleiben Sie ruhig, verhalten Sie sich wie bisher geistesabwesend, lesen Sie den Sportteil oder falten Sie einen Papierhut. Und lösen Sie nicht im Beisein anderer das Sudokurätsel weiter hinten. Es könnte Ihr letztes sein.
 

 

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