Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (11. Mai 2008)
 

   Das Ereignis der Woche fand im Hunsrück statt: Tausende Brötchen, die auf riesigen Backblechen aus dem Schlund eines Ofens krochen und an einem drahtigen Mann mit dunklem Schnurrbart vorbeiparadierten. Kleine Soldaten aus Weissmehl, die auf ihre Weiterverarbeitung zu einem praktisch nährmittelfreien Lebensmittel warteten, bevor sie zur letzten Verdaungsschlacht in einem Hartz-IV-Haushalt marschierten. Bevor wir aber ob der Leistungskraft unserer Nahrungsmittelindustrie ins Schwärmen geraten, müssen wir erklären, wer der Mann mit dem Schnurrbart ist: Kein anderer als der Enthüllungsreporter Günter Wallraff nämlich (Siehe Bild).

   Das Wallraffen gilt ja als journalistische Grundtugend und wird in jedem Seminar für Berufsanfänger gelehrt. Man sollte es indes nicht zu weit treiben: Wallraff nämlich ist zeit seines Lebens in so vielen Verkleidungen aufgetreten, dass er ohne die Namensschilder auf seinen Pyjamas nicht einmal sich selbst erkennen würde. Offenbar dachte er sich unlängst beim Frühstück: "Ich muss mal wieder raus", klebte sich seinen alten Schnurrbart aus den 60er ins Gesicht und heuerte in einem Betrieb für Fertigbackwaren an, der den klassischen Prinzipien der Ausbeutung aus dem Frühkapitalismus huldigt. Für den Einsatz verjüngte er sich durch autogenes Training um 23 Jahre, lernte Migrationsdeutsch und las sich durch die 13-bändige "Enzyklopädie des Weissbrots" von Maurice Blanchee aus dem Jahr 1895.



   Dabei sind falsche Bärte ja in Zeiten virtueller Scheinexistenzen, die sich jeder Internetbenutzer aufbauen kann, ein geradezu rührendes Relikt aus früheren Tagen. Sie gehören eigentlich in eine Zeit, in der man Kulenkampff im Fernseher guckte uund mit dem Ford Taunus nach Italien fuhr. Doch was tut's? Die Hunsrück-Backfabrik dürfte nur der Auftakt zu weiteren Skandalgeschichten sein. Gerüchten zufolge will Wallraff sich als Tonträger in der Musikindustrie verdingen, später als falscher Robert Mugabe den demokratischen Umbruch in Simbabwe beschleunigen. Bis dahin heisst es: Augen auf! Der Strassenmusiker, dem man kein Geld gibt, war er nicht gestern noch rasiert? Und der Kollege, den man tot oder imi Langzeiturlaub wähnte, warum taucht er plötzlich wieder auf? Der bulgarische Schwarzarbeiter, der eben noch das Bad flieste - sind seine Fingernägel nicht zu gepflegt? Der Konzernchef? Der Bundespräsident? Verena Pooth? Derzeit ist jede Sekunde zu rechnen, dass sich ein Prominenter unversehens bei Kerner oder Will die Maske vom Gesicht reisst, seinen Bart in die Kamera schleudert und sich als Wallraff identifiziert. Trauen Sie deshalb niemandem, liebe Leser. Nicht einmal ihrer Zeitung. Es könnte sein, dass viele Schlagzeilen nur aufgeklebt sind, wie falsche Bärte. Allerdings: Die Brötchen, die Wallraff in seiner Firma buk, waren echtt. Man erkennt das zweifelsfrei am faden Geschmack.
 

 

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