Wussten Sie eigentlich,
dass wir eine ausgesprochen tierliebe Redaktion sind?
Unsere Kaffeeküche etwa beherbergt vom niederen Organismus bis
hin zum vielbeinigen Insekt mehrere hundert verschiedene Lebensformen.
Allerdings sind diese Lebewesen doch recht scheu und meiden
den direkten Kontakt mit den Redakteuren.
Daher
war es konsequent, dass unsere Redaktion sich, dem Beispiel
mehrerer Zoos folgend, vo einiger Zeit ein Eisbärbaby
zugelegt hat. Wie wir an einen Eisbär kamen, können wir an dieser
Stelle nicht im Detail darlegen, nur so viel: Im Spiel waren
ein osteuropäischer Wanderzirkus und ziemlich viel Wodka. Umso
grösser war die Entäuschung, als wir das per Kurierdienst angelieferte
Paket mit unserem Eisbärchen öffneten. Auf einem Nest aus Holzwolle
lag ein kleines, rosafarbenes, fat unbehaartes Etwas, das äusserlich
aber auch gar nichts mit den Bildern zu tun hatte, die von Eisbärbabys
im Umlauf sind. Einige Redakteure mutmassten, die Osteuropäer
hätten uns gefoppt und uns ein rasiertes Kaninchen mit zugeklebten
Augen untergeschoben.
Eine rasche Internetrecherche
ergab jedoch, dass Eisbären tatsächlich in solch jammerwürdigem
Zustand zur Welt kommen. Wir gaben dem rosafarbenen Etwas
den Namen Eisprinzessin und begannen mit der Aufzucht: Gut gekühlte
Milch (schliesslich kommt das Tier aus der Polarregion), Softeis
mit Vanillegeschmack und Marshmallows, damit auch die Zähne
sich entwickeln. Nach einigen Tagen und nachdem wir unser Bärchen
aufmerksam von allen Seiten gemustert hatten, stellten wir fest:
Eisprinzessin ist ein Junge! Was tun? Ihr / ihm einen neuen
Namen geben, auf die Gefahr hin, dass das Baby sich zu einer
gespaltenen Persönlichkeit entwickelt? Ein eilends konsulierter
Kinderpsychologe riet ab. Vieleicht berge der Mädchenname für
einen Jungen die Chance, dass Eisprinzessin später nicht in
die üblichen Mann-Frau-Klischees verfalle.

Eisprinzessin
entwickelte sich prächtig, bekam tatsächlich ein Fell, und wir
überlegten, ob wir ihr / ihm einen Knopf ins Ohr stechen sollten,
weil das Tierchen damit noch possierlicher aussehen würde. Doch
wir wollten ihr / ihm nicht wehtun. Wir wollten überhaupt keinem
Tier wehtun, daher beschloss die Redaktion mehrheitlich, Eisprinzessin
als Vegetarier grosszuziehen. Einige Kollegen allerdings nahmen
an der Abstimmung gar nicht mehr teil: Trotz mehrmals täglichem
Shamponieren roch Eisprinzessin nach Tier, ausserdem hatte sie
/ er Stuhlgang und machte Pipi. So hatten sich Teile der Redaktion
das Leben mit einem Eisbärbaby nicht vorgestellt.
Rasch
lernte Eisprinzessin putzige Kunststücke, apportierte
Zigaretten, öffnete Bierflaschen mit den Zähnen. Wir waren gespannt,
ob ihr / sein erstes Wort "Mama", "Papa"
oder "Auto" sein würde. Es kam anders: Eisprinzessin
formte Worte und Laute, die nichts anderes bedeuten konnten
als den animalischen Wunsch nach rohem Fleisch. Von diesem Moment
an war allen klar: Das Biest muss weg. |