Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (20. April 2008)
 

   Wussten Sie eigentlich, dass wir eine ausgesprochen tierliebe Redaktion sind? Unsere Kaffeeküche etwa beherbergt vom niederen Organismus bis hin zum vielbeinigen Insekt mehrere hundert verschiedene Lebensformen. Allerdings sind diese Lebewesen doch recht scheu und meiden den direkten Kontakt mit den Redakteuren.

   Daher war es konsequent, dass unsere Redaktion sich, dem Beispiel mehrerer Zoos folgend, vo einiger Zeit ein Eisbärbaby zugelegt hat. Wie wir an einen Eisbär kamen, können wir an dieser Stelle nicht im Detail darlegen, nur so viel: Im Spiel waren ein osteuropäischer Wanderzirkus und ziemlich viel Wodka. Umso grösser war die Entäuschung, als wir das per Kurierdienst angelieferte Paket mit unserem Eisbärchen öffneten. Auf einem Nest aus Holzwolle lag ein kleines, rosafarbenes, fat unbehaartes Etwas, das äusserlich aber auch gar nichts mit den Bildern zu tun hatte, die von Eisbärbabys im Umlauf sind. Einige Redakteure mutmassten, die Osteuropäer hätten uns gefoppt und uns ein rasiertes Kaninchen mit zugeklebten Augen untergeschoben.

   Eine rasche Internetrecherche ergab jedoch, dass Eisbären tatsächlich in solch jammerwürdigem Zustand zur Welt kommen. Wir gaben dem rosafarbenen Etwas den Namen Eisprinzessin und begannen mit der Aufzucht: Gut gekühlte Milch (schliesslich kommt das Tier aus der Polarregion), Softeis mit Vanillegeschmack und Marshmallows, damit auch die Zähne sich entwickeln. Nach einigen Tagen und nachdem wir unser Bärchen aufmerksam von allen Seiten gemustert hatten, stellten wir fest: Eisprinzessin ist ein Junge! Was tun? Ihr / ihm einen neuen Namen geben, auf die Gefahr hin, dass das Baby sich zu einer gespaltenen Persönlichkeit entwickelt? Ein eilends konsulierter Kinderpsychologe riet ab. Vieleicht berge der Mädchenname für einen Jungen die Chance, dass Eisprinzessin später nicht in die üblichen Mann-Frau-Klischees verfalle.



   Eisprinzessin entwickelte sich prächtig, bekam tatsächlich ein Fell, und wir überlegten, ob wir ihr / ihm einen Knopf ins Ohr stechen sollten, weil das Tierchen damit noch possierlicher aussehen würde. Doch wir wollten ihr / ihm nicht wehtun. Wir wollten überhaupt keinem Tier wehtun, daher beschloss die Redaktion mehrheitlich, Eisprinzessin als Vegetarier grosszuziehen. Einige Kollegen allerdings nahmen an der Abstimmung gar nicht mehr teil: Trotz mehrmals täglichem Shamponieren roch Eisprinzessin nach Tier, ausserdem hatte sie / er Stuhlgang und machte Pipi. So hatten sich Teile der Redaktion das Leben mit einem Eisbärbaby nicht vorgestellt.

   Rasch lernte Eisprinzessin putzige Kunststücke, apportierte Zigaretten, öffnete Bierflaschen mit den Zähnen. Wir waren gespannt, ob ihr / sein erstes Wort "Mama", "Papa" oder "Auto" sein würde. Es kam anders: Eisprinzessin formte Worte und Laute, die nichts anderes bedeuten konnten als den animalischen Wunsch nach rohem Fleisch. Von diesem Moment an war allen klar: Das Biest muss weg.
 

 

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