Eine grosse Discounterkette
hat ihre Mitarbeiter heimlich mit Videokameras beobachtet, was
für Empörung sorgte. Wieso eigentlich? In unserem Redaktionshaus
sind schon seit Jahren in
sämtlichen Räumen Kameras installiert, und nie hat sich jemand daran
gestört. Ganz im Gegenteil. WIr sind selbst neugierig, was die
Kollegen so machen. Hier die Aufzeichnungen vom vergangenem
Dienstagvormittag.

11.00
Uhr: Im Untergeschoss des Redaktionshauses steht
der Koch Heinz W. vor einer vier Quadratmeter grossen Pfanne.
Nachdenklich kratzt der Kantinenchef sich mit dem Pfannenwender
im Nacken und zwischen den Schulterblättern. Er steht vor der
Frage, welchen Namen er dem Konvolut aus Hack, grob gewürfeltem
Gemüse, Nudeln und Kartoffeln geben soll, das aus Überbleibseln
der vergangenen Woche entstanden ist.
11.10
Uhr: In der Nachrichtenredaktion sitzt Chefreporter
Udo L. regungslos an seinem Schreibtisch. Seine Augen sind geschlossen,
an seinem rechten Mundwinkel beginnt sich ein Speichelfaden
zu bilden. Wer Udo L. nicht kennt, könnte meinen, er schlafe.
Doch hinter seiner Stirn tobt es. Der Gedanke "Man müsste
wieder einmal etwas aufdecken" hat von ihm Besitz ergriffen.
11.20
Uhr: Die Raumpflegerin Svetlana R. hat soeben
die flüchtige Reinigung des Toilettentraktes beendet und macht
sich nun an die Kaffeeküche. Für einen Moment zögert sie, will
den Eimer ausgiessen, um frisches Putzwasser einzulassen. Dann
entscheidet sie sich anders.
11.30
Uhr: Heinz W. entdeckt in einem Unterschrank einige
Dosen Hering in Tomatentunke. Er schaut auf das Verfallsdatum,
erschrickt. Dann öffnet er rasch die Dosen und entleert sie
in die Pfanne, deren Inhalt er als "Menü 1: Schlemmerteller
Göttingen" servieren wird.
11:40
Uhr: Chefreporter Udo L. sitzt regungslos am Schreibtisch:
"Eine ganz grosse Enthüllungsgeschichte, Dass im Radsport
gedopt wird. Oder dass die Renten nicht sicher sind." Der
Speichelfaden löst sich und tropft auf die Computertastatur.
11.50
Uhr: Die chronisch blasenschwache Svetlana R.
unterbricht ihre Arbeit und geht in Richtung Toilette. Auf dem
Gang wirft sie der Redaktionsassistentin Ursula L. einen kurzen
Gruss zu: "Mahlzeit."
12.00
Uhr: Udo L. sitzt regungslos am Schreibtisch und
denkt: "Oder etwas aus dem Privatleben des Bundespräsidenten."
Er zieht einen neuerlichen Speichelfaden geräuschvoll zurück
in den Mund und spürt: "Bald Zeit fürs Mittagsessen."
Ohne die Augen zu öffnen, tippt er hastig die Horst-Köhler-Homestory
in den Computer.
Das Beobachtungsprotokoll vermerkt: "Im Betriebsrestaurant wird
in der gewohnten Qualität gearbeitet. Das Reinigungspersonal
arbeit zwar resourcenschonend, nimmt sich aber Zeit für private
Gespräche und Erledigungen. Der Einsatz von Udo L. am Arbeitzsplatz
ist untadelig. Keine Telefonate, keine Privatgespräche, nicht
einmal ein Gang zur Toilette." |