Der moderne Mensch sucht
sein Seelenheil vorwiegend in beruflichem Erfolg, beim Gleitschirmfliegen
oder beim Sammeln von Bierfilzen. Doch ist die Ahnung, dass
das wahre Heil erst jenseits der irdischen Existenz auf uns
wartet, in Kultur und Alltag noch gegenwärtig. Insgeheim wissen
wir ale: Der finale Bestimmungsort unserer Seele ist das Paradies.
Unser Aufenhalt im Diesseits ist nur vorübergehend und wird
dementsprechend von den meisten Menschen mehr schlecht als recht
verwaltet.
Um uns die Wartezeit bis
zur Erlösung zu verkürzen, bietet die Industrie vorgefertigte
Paradies-Surrogate an, die als Bettenparadies, Einkaufsparadies,
Inselparadies in der Südsee oder als Paradiescreme zum Dessert
erhältlich sind. Jedoch sind diese Paradiese von allenfalls
mittelmässiger Qualität, auch fehlt ihnen jene Ahnung von Ewigkeit,
die der Mensch doch hinter den Dingen sucht. Schaut man beispielsweise,
nur mit einer Badehose bekleidet, in einem Südseeparadies in
den Spiegel, so offenbart die unvorteilhaft gewölbte Partie
um Bauch und Hüften, dass uns dieses Ersatzparadies der Vollkommenheit
keinen Schritt näher gebracht hat.
Auch
Steuern kennen diese Sehnsucht, die uns Menschen
treibt. Auch eine ganz normale Einkommensteuer wünscht sich
Höheres als dieses elende Finanzamt, in welchem sie verwaltet
wird. Durch dessen Treppenhäuser zur Mittagszeit der Dunst von
Kohlrouladen wabert. Wo graugesichtige Beamte Steuern nicht
als fühlende Wesen respektieren, sondern sie zu Nummern degradieren,
verbuchen, abstempeln, abheften. Auch eine Steuer empfindet
Sehnsucht nach dem Paradies.

Hat
Post-Chef Klaus Zumwinkel vor diesem Hintergrund nicht zutiefst
moralisch gehandelt, als er seine Steuern ins Paradies Liechtenstein (siehe Bild) transferierte,
wo die Geldscheine, denen in Deutschland das Finanzamt drohte,
zum ersten Mal in ihrem Leben das Tageslicht sehen durften?
Herrlich frische Bergluft atmeten. Erstmal spüren, was Freiheit
bedeutet. Muss man nicht das Risiko honnorieren, das Zumwinkel
und 900 andere Fluchthelfer eingingen, als sie die in Deutschland
gegen ihren Willen festgehaltenen Gelder über die Grenze ins
Steuerparadies führten?
Die Politik
hätte den deutschen Steuern Zeit gewähren sollen, statt ihre
sofortige Auslieferung zu fordern. Gewiss hätten sie, erst einmal
erholt von den Strapazen der Gefangenschaft und der Flucht,
aus dem Steuerparadies heraus Gutes bewirkt. Was wäre die Welt
ohne Stiftungen? Klöster und Kirchen wären niemals in solcher
Vielzahl und Pracht erstanden, ohne Stifter. Auch Zumwinkels
Liechtensteiner Stiftung hätte sich nicht lange um Wohltaten
bitten lassen. Etwa darum, dass deutsche Ganztagsschulen ihr
Schulessen regelmässig mit einem Paradiescreme-Dessert hätten versüssen können. |