Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (17. Februar 2008)
 

   Was bleibt? Darüber zerbricht sich der Mensch spätestens dann den Kopf, wenn der Tod mit knöcherner Faust ans Fenster klopft. Er pflanzt noch schnell einen Baum, setzt zwei, drei Kinder in die Welt oder bewirbt sich für eine Gerichtsshow im Fernsehen.

   Doch manchmal bedarf es auch glamouröserer Leistungen, um auf der kollektiven Festplatte des Volkes gespeichert zu werden. So wurde diese Woche bekannt, dass der Schädel von Rosemarie Nitribitt seit rund 50 Jahren in einem Kriminalmuseum ausgestellt und jetzt erst beerdigt wurde.

   Man erinnert sich: Die Frau (siehe Bild) war eine legendäre Kurtisane der Wirtschaftswunderepoche, deren gewaltsamer Tod noch jahrzehntelang für brünstige Spekulationen sorgte. Die Frankfurter Polizei hatte den Schädel als Lehrmittel für die Kommisarausbildung eingesetzt. Glaubte man, künftig illegale Liebesdienerinnen an der Kopfform zu erkennen? Sollte eine spätere forensische Untersuchung klären, wer dieser Frau den letzten Todeskuss auf die Wange hauchte?



   So richtig klar ist nicht, warum ausgerechnet der Schädel unbestattet blieb. Denn die mentalen Leistungen der Verstorbenen traten ja hinter ihren anderen Fähigkeiten zurück. Mag sein, dass sie ihre Liebhaber mit tollkühnen Zahlendrehereien verrückt machte, ihre Telefonnummer vorwärts und rückwärts aufsagen und mit einer Hand eine Krawatte lockern konnte, während die andere eine Telefonwählscheibe bediente. Unbestritten ist auch, dass sie jener Epoche eine dunkel-abgründige Nuance verschaffte und den Zeitgenossen das Schicksal ersparte, vor Langeweile zu sterben.

   Doch die Fixsterne jener Jahre waren nicht Prostituierte, sonder Künstler wie der Sänger Walter Andreas Schwarz ("Im Wartesaal zum grossen Glück") oder Margot Hielscher ("Für zwei Groschen Musik"), das Schwarzwaldmädel Sonja Ziemann oder die legendäre Nieren, die wie Tische aussahen. Jetzt wissen wir: Nitribitt hat sie alle überlebt, jedenfalls in Form ihres Schädels. Generationen von ausbildungswilliger Jungpolizisten defilierten schaudernd an jenem makabren Ausstellungsstück vorbei und philosophierten über die Flüchtigkeit des Eros und die Ewigkeit des Verbrechens.

   Indessen hat ich diese Art von Museumskultur überlebt. Sie stammt aus einer Zeit, als Anarchisten Bomben auf Thronfolger warfen, Dienstmädchen ihre illegalen Kinder ertränkten und Giftmörder mit dem Fallbeil hingerichtet wurden. Heute zieht sich die Kriminalität in die Computer der Devisenbetrüger und Steuerhinterzieher zurück, die grossen Verbrecher der Globalisierung lieben die Anonymität.

   Sollte aber doch der eine oder andere Schädel eines Bankrottbankers auftauchen, wird sich kein Schaudern beim Betrachter einstellen. Höchstens wird er sich über den nur marginal ausgeprägten Moralsektor im Gehirn wundern.
 

 

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