Was bleibt? Darüber
zerbricht sich der Mensch spätestens dann den Kopf, wenn der
Tod mit knöcherner Faust ans Fenster klopft. Er pflanzt noch
schnell einen Baum, setzt zwei, drei Kinder in die Welt oder
bewirbt sich für eine Gerichtsshow im Fernsehen.
Doch
manchmal bedarf es auch glamouröserer Leistungen, um auf der
kollektiven Festplatte des Volkes gespeichert zu werden. So
wurde diese Woche bekannt, dass der Schädel von Rosemarie
Nitribitt seit rund 50 Jahren in einem Kriminalmuseum ausgestellt
und jetzt erst beerdigt wurde.
Man
erinnert sich: Die Frau (siehe Bild) war eine legendäre Kurtisane
der Wirtschaftswunderepoche, deren gewaltsamer Tod noch jahrzehntelang
für brünstige Spekulationen sorgte. Die Frankfurter Polizei
hatte den Schädel als Lehrmittel für die Kommisarausbildung
eingesetzt. Glaubte man, künftig illegale Liebesdienerinnen
an der Kopfform zu erkennen? Sollte eine spätere forensische
Untersuchung klären, wer dieser Frau den letzten Todeskuss auf
die Wange hauchte?

So
richtig klar ist nicht, warum ausgerechnet der Schädel unbestattet
blieb. Denn die mentalen Leistungen der Verstorbenen traten
ja hinter ihren anderen Fähigkeiten zurück. Mag sein, dass sie
ihre Liebhaber mit tollkühnen Zahlendrehereien verrückt
machte, ihre Telefonnummer vorwärts und rückwärts aufsagen und
mit einer Hand eine Krawatte lockern konnte, während die andere
eine Telefonwählscheibe bediente. Unbestritten ist auch, dass
sie jener Epoche eine dunkel-abgründige Nuance verschaffte und
den Zeitgenossen das Schicksal ersparte, vor Langeweile zu sterben.
Doch
die Fixsterne jener Jahre waren nicht Prostituierte, sonder
Künstler wie der Sänger Walter Andreas Schwarz ("Im Wartesaal
zum grossen Glück") oder Margot Hielscher ("Für zwei
Groschen Musik"), das Schwarzwaldmädel Sonja Ziemann oder
die legendäre Nieren, die wie Tische aussahen. Jetzt wissen
wir: Nitribitt hat sie alle überlebt, jedenfalls in Form
ihres Schädels. Generationen von ausbildungswilliger Jungpolizisten
defilierten schaudernd an jenem makabren Ausstellungsstück vorbei
und philosophierten über die Flüchtigkeit des Eros und die Ewigkeit
des Verbrechens.
Indessen hat ich diese
Art von Museumskultur überlebt. Sie stammt aus einer Zeit, als
Anarchisten Bomben auf Thronfolger warfen, Dienstmädchen ihre
illegalen Kinder ertränkten und Giftmörder mit dem Fallbeil
hingerichtet wurden. Heute zieht sich die Kriminalität in die
Computer der Devisenbetrüger und Steuerhinterzieher zurück,
die grossen Verbrecher der Globalisierung lieben die Anonymität.
Sollte
aber doch der eine oder andere Schädel eines Bankrottbankers
auftauchen, wird sich kein Schaudern beim Betrachter einstellen.
Höchstens wird er sich über den nur marginal ausgeprägten
Moralsektor im Gehirn wundern. |