Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (03. Februar 2008)
 

   Ein unscheinbarer Mann sitzt in einer nüchtern eingerichteten Wohnung des Parisers Vororts Neuilly. Sein Blick flackert, seine Augen glühen wie Monitore in einem Börsen-Handelsraum. Es ist Monsieur Kerviel (siehe Bild), der Mann ohne Eigenschaften, tragische Schlüsselfigur des globalen Crashs. Er lacht heiser. Einen Verbrecher hatten sie ihn genannt. Bizarr! Wie einfach war es doch gewesen, in den zentralen Geldverschieberaum seiner Bank vorzudringen. Der Sicherheitsring aus Sandsäcken und Jägerzaun war schnell überwunden. Die schläfrigen Wachhunde blinzelten nur, als er sie mit Keksen ruhigstellte. Die gefälschte Einlass-Chipkarte lag einem Computerheft bei, das sich mit Sicherheitsfragen im Online-Banking befasste.



   Rasch mit der Blechschere den Schrank aufgeschnitten, in dem der Spekulationsrechner stand, dann lag die goldene Computermaus in seiner Hand. Nur ihr Nutzer war berechtigt, die weltweiten Kapitalströme zu lenken. Kerviel küsste sie schaudern. Er begann mit einer zögernden Bewegung: Der Pfeil zuckte auf dem Bildschirm und versenkte einige Millionen Euro in Knockout-Zertifikaten. Kerviel wurde mutiger. Die goldene Maus liess Lichtpunkte durch die weltweiten Börsencharts tanzen wie Sternschnuppen. Immer öfter schloss sich Kerviel mittags in den Spekulationsraum ein. Aus Millionen wurden Milliarden. Seine Kollegen hörten das heisere Lachen des Bankers und wunderten sich über die blutig gebissene Unterlippe. Hier einige Millionen auf Technologiewerte in Malaysia, dort eine Milliarde in die Erschliessung des Uranabbaus in Südamerika, Termingeschäfte in China, Immobilien in den USA. Im grossen Haus des Kapitals waren viele Wohnungen für einen wagemutigen Abenteurer.

   Die Innenrevision wunderte sich zwar über immer zahlreicheren Löcher im elektronischen Sicherheitssystem und über die Trittleiter an der Firewall. Doch erst, als Kerviel unter dem Namen Midas seine Erfolge im Internet publizierte, kam es zur Verhaftung. Verhaften? Er lacht. Einen Midas verhaftet man nicht! In seiner Hand lag die goldene Maus, die er aus der Bank geschmuggelt hatte. Er schloss sie sanft an seinem Privatrechner an. Sie erwachte zum Leben. Es schien, als lächelte sie zu ihm auf. Dann begann sie zu tanzen. 24 Millionen, 112 Milliarden, die erste Billion. Er stöhnte vor Glück und Erregung. Anderntags meldeten die Agenturen, dass sich alle weltweit verfügbaren Geldreserven nach Neuilly gewälzt hatten. Der Pariser Vorort drohte aufgrund der verdichteten Kapitalströme zu platzen. Kerviel selbst wurde zuletzt dabei gesichtet, als er eine goldene Computermaus in ein Pfandleihhaus trug und dafür acht Euros erlöste. Er habe kein Bargeld mehr gehabt, sagte er später. In Europa beginnt unterdessen die Ära des Tauschhandels.
 

 

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