Bei der Deutschen Bahn
wird gestreikt, wie Sie sicherlich bemerkt haben, weil am Ihrem
Lieblings-Bahnübergang schon seit Tagen die Schranken nicht
mehr heruntergegangen sind. Es ist unwahrscheinlich, dass in
absehbarer Zeit Bewegung in die festgefahrenen Schranken kommt:
Der Vertreter der Lokomotivführer, Manfred Schell, spitzt sich
weiterhin dramatisch zu, während die Fahrdienstleitung unter
Hartmut Mehdorn sich zunehmend verhärtet.
Um
Sie, verehrte Leser, auf die Entwicklungen der kommenden Wochen
vorzubereiten, hat das Ressort Schienenverkehr unserer Redaktion
auf der redaktionseigenen Modellbahnanlage verschiedene
Szenarien durchgespielt. Die Resultate werden Sie als Betroffene
interessieren, schliesslich wollen Sie ja wissen, ob Sie auf
dem Weg ins Büro auch weiterhin freie Fahrt an den Bahnübergängen
haben.
Beim nächsten Spitzentreffen
geht Hartmut Mehdorn auf die Gewerkschaft der Lokomotivführer
zu. Er bietet 20 Prozent mehr Gehalt, einen Tag Freizeitausgleich
für Nachtdienste, garantiertes Weihnachtsgeld bis zum Erreichen
des Pensionsalters sowie ein Bahncard 100 für die
Männer auf dem Führerstand. Manfred Schell erbittet Bedenkzeit:
Der Streik geht weiter. Auf einer Geheimsitzung des Bahnvorstands
wird die Frage erörtert, wie viele Kilometer Nebenstrecken man
stilllegen müsste, um mit 20 Prozent weniger Personal den übrigen
Betrieb aufrechtzuerhalten.

Bei
einem weiteren Spitzentreffen signalisiert Schell Kompromissbereitschaft.
Sofern Mehdorn zwei warme Mahlzeiten pro Dienst und Lokführer,
serviert im Führerstand, Personaltoiletten mit beheizten
Sitzbrillen und Warmwasserspülung auf den Bahnhöfen sowie
für Schells Dienstreisen Lufthansatickets erster Klasse inklusive
Senatorenstatus auf Lebenszeit aufsattle, könnten im Weihnachtsverkehr
wieder erste Züge rollen. Kritik an den Flügen weist Schell
zurück: "Bahnfahren geht in meiner Position nicht. Zu langsam,
zu unpünktlich, zu wenige Verbindungen in der Fläche."
Der Streik geht weiter.
Mehdorn weist
die Forderungen Schells zurück. Über die Vergünstigungen für
Lokomotivführer könnte man reden, Flugtickets für Schell kämen
nicht in die Tüte. Auch er, Mehdorn, habe bereits Dienstreisne
mit der Bahn unternommen: "Ich habe gestaunt, wie gut das
funktioniert." Unterdessen kursiert im Bahnvorstand ein
sensationelles Geheimpapier: Am rentabelsten und damit attraktivsten
für die Börse werde die Bahn, wenn sie den Betrieb erst
gar nicht wieder aufnehme und alle ihre Grundstücke Gewinn bringend
veräussere. Mit anderen Worten: Die Schranken bleiben oben. |