Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (07. Oktober 2007)
  

   Nun ist es also so weit. Der Herbst hält uns mit seinen nach Laub und schwerer Nässe duftenden Armen umfangen. Nebel auf der Wiese weidet, und im Fernsehen regnet's. In einschlägigen Gedichten wimmelt es nur so von düsterer Melancholie, von hinweg schleichenden Stunden, von der leidvoll süssen Klarheit, von Stoppelfeldern und Herbstwinden, die kühl in die Stuben wehen. Heutzutage, wo niemand mehr freiwillig durch Wald und Flur wandert, es sei denn, er hätte sein Sports Utility Vehikel in Rufweite geparkt, haben Herbststimmungen an Wirkung verloren. In den Zentralen der Gasversorger, wo die neuen Flex-Midi- oder Mein-Cent-Mini-Tarife frisches Gold in die Geldspeicher schwemmen sollen, verkehrt sich die Melancholie geradezu ins Gegenteil. Dort fiebert man der kalten Jahreszeit mit rosiger Hoffnung entgegen. Doch auch dort sollte man die Worte des Dichters bedenken, der schrieb: Die Flut des Lebens ist dahin, / Es ebbt in seinem Stolz und Reiz, / Und sieh, es schleicht in unsern Sinn, / ein banger, nie gekannter Geiz. Dieser Geiz, der den Kunden, angetan mit dicker Unterwäsche und mannigfachem Wollüberwurf, den Thermostat zudrehen lässt, lässt auch bei Eon und Vattenfall ein banges Grauen in die Herzen dringen: (...) Wie ein Weib, das schwere Ahnung bedrückt, und manchmal kann man sie keifen hören (...)



   Keifende Manager passen indes nicht in das Tableau eines Herbstgedichts. Moderne Dichter scheuen deshalb die Herausforderung, mal wieder ein Stück Oktoberlyrik zu entwerfen. Winterreifen, Wanderkröten, Heizungsventile oder Halloween-Partys sind ein sperriges Vokabular, auf dem sich keine anständige Todessehnsucht oder Verlassenheitsstimmung aufbauen lässt. Beim Stichwort "Wanderkröten" wird übrigens klar, dass auch auf die Natur kein Verlass mehr ist. Japanische Forscher haben jetzt nämlich durchsichtige Frösche gezüchtet (siehe Bild). Die Organe dieser Tiere können so im Wechsel der Jahreszeiten beobachtet werden, heisst es. Aber da geht natürlich jede Herbstromantik flöten. Denn ein Herz, das ständig unter Beobachtung steht, kann wohl kaum sehnsüchtige Gedanken an den Frühling und die ferne Geliebte entlassen. Der Glasforsch ist das Metapher der entromantisierten Zeit und bietet allenfalls eine Vorlage für einen sachlich-modernistischen Stil: Ich bin ein Frosch / So wie kein zweiter / Und trotz meiner transparenten Haut / Im Allgemeinen heiter / Die Forscher aus dem Fernen Osten / Machten mich so hell wie Glas / So kannst du nicht nur raten, sondern sehen / Was ich gestern ass.

   Was dieses Gedicht mit dem Herbst zu tun hat, wissen wir allerdings auch nicht.
 

 

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