Seit die Autorin Eva H. (Siehe Bild) angekündigt hat, ihre
Lebenserinnerungen zu veröffentlichen, rätselt ganz Deutschland, ob es
richtig war, dass Frauen der Zugang zur Grundschule geöffnet wurde. Muss
alles aufgeschrieben werden, was in dunkler Zeit geschah? Soll man die
Gespenster der Vergangenheit noch einmal heraufbeschwören? Doch Eva H.
will Zeugnis ablegen bis zum Letzten. Ihr Schicksal steht für viele, die
den Mut nie verloren und mit unbeugsamem Willen, geborgen im Schoss der
Familie ihren leidvollen, doch erfüllenden Lebensweg gingen. Unsere
Literaturredaktion traf Eva H. in einem SOS-Kinderdorf in den Karpaten.
Nach einer Spende bekamen wir die Erlaubnis zum Vorabdruck:

"Ich hatte eine unbeschwerte Jugend. 13 Geschwister waren es, die sich
frühmorgens zum Milchholen um den Leiterwagen versammelten. Gebadet wurde
samstags, danach wurden die Mädchen an den Zöpfen zum Trocknen aufgehängt.
Wer sich der Disziplin nicht unterordnete, bekam Streiche mit dem
Mutterkreuz. Als dann die ersten Stimmen aus dem Radio kamen, die über die
Durchbrüche der deutschen Einheiten im Osten berichteten, war für mich
klar: Ich will Front-Ansagerin werden. Doch bis dahin war es noch ein
weiter Weg. Zunächst hiess es: Arbeiten, drei bis vier Familien gründen,
Heim und Herd in eine Scholle des Friedens und Geborgenheit verwandeln. Es
war nicht einfach, für die ersten fünf Kinder aus Mehl und alten
Phosphorbomben Pfannkuchen zu backen.
Viel schlimmer aber waren jene dunklen Jahre der Frauenbefreiung, als
alles verloren schien. Was der Iwan nicht geschafft hatte, schafften die
Prediger der Libertinage. Frauen gingen abends aus, liessen sich scheiden
oder lernten Auto fahren. Meine Kinder wurden von Weinkrämpfen geplagt,
bekamen Allergien und bissen sich gegenseitig beim Kampf um die besten
Plätze am warmen Ofen. Mehr als 20 Jahre währte der Spuk, dann begann sich
das Leben in Deutschland aus den Trümmern zu normalisieren. Doch es war zu
viel zerstört worden: Die Spielplätze verödeten, in den Geburtskliniken
spielten die Hebammen Monopoly, während draussen die Frauen in
Bussinesskostüme zwängten und abends schmallippig an Cocktails nippten.
Wenn ich meine nunmehr 14 Kinder mit dem Bollerwagen zum DVD-Verleih
schickte, wurden sie mit faulem Obst beworfen.
Nachdem sich auch der sechste Mann von mir getrennt hatte, stand ich auf
der Strasse. Ich konnte zwar nicht schreiben, aber lesen, und ich war
blond. Solche Frauen waren gesucht , weil das Fernsehen erfunden worden
war. Täglich durfte ich die Abendnachrichten vortragen. Das ging oft an
die Grenze des Erträglichen: Der Schwächeanfall Willy Brandts in Warschau,
das Erdbeben in Berlin, das zum Einsturz der Mauer führte, der Einmarsch
der Russen in Tschernobyl. Manchmal kamen mir die Tränen. Kraft geben mir
Kunst und Literatur. Seit Jahren lese ich täglich in dem Roman 'Notärztin
Andrea Bergen - Geschichten voller Menschlichkeit'. Über meine letzten
drei Schwangerschaften erzähle ich in Band sechs." |