Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (15. April 2007)
  

  Moment, wir müssen uns gerade ein wenig die Augen reiben. Dort draussen spielt sich nämlich der Sommer ab, der aber nur ein ausser Rand und Band geratener Frühling ist. Der Frühling! Zeit des Werdens und Gedeihens. Es treibt und spriesst, Knospen öffnen sich, Augen tränen, Früchte wachsen, Fruchtblasen platzen ...

  Nun gut. Wir sind tatsächlich etwas überrascht worden. Eigentlich sollte die erste Betrachtung über den Frühling erst Anfang Mai platziert werden. Wir hatten wie immer ein Rechercheteam unserer Wissenschaftsredaktion in Wald und Flur entsandt, empfangen aber bisher nur schwache Funksignale. Doch soviel scheint sicher: Der jahreszeitliche Umbau der Natur verläuft nach Plan. Die gemeine Westliche Honigbiene (Apis mellifera) (siehe Bild) betritt die Bühne der Natur, wie sie es bereits vor 100 Millionen Jahren tat. Sie liess sich damals nicht von der Tristesse der eiszeitlichen Steppen-Einöde oder der Debatte um Mindestlöhne beeindrucken, sondern arbeitete ihre Tagesordnung ab.


  
  Woher wir das wissen? Nun, die älteste fossile Biene, die Trigona prisca, wurde eingebettet in Bernstein in den USA gefunden. Der Fund ist rund 80 Millionen Jahre alt. Diese Biene liess sich damals nach Feierabend in ihr wohl verdientes Bernsteinbad gleiten. Was dann geschah, muss offen bleiben. Hatte sie ihren iPod eingestöpselt und traumselig an die Decke gestarrt? Ist sie bei der Lektüre einer Sonntagszeitung eingeschlafen? Spürte sie nicht, wie sich der Bernstein hart um ihre zarten Hautflügel schloss und sie in ein gelbleuchtendes Gefängnis zwang? Wir werden es nie erfahren.

  Was wird man in 20 Millionen Jahren von unserer Zivilisation vorfinden? Mittelgebirge aus Datenmüll? Mikroskopische Spuren von Alkoholmischgetränken? Eine versteinerte Dr.-Oetker-Spinatpizza? Um die Relikte unserer Zeit nicht der Laune des Zufalls zu überlassen, haben wir gehandelt. Einige der hier veröffentlichen Glossen wurden bereits in Bernstein eingelegt und im Arzneischrank der Redaktion eingeschlossen. Dort können sie bis zu 123 Millionen Jahre lang aufbewahrt werden.

  Wenn nun eine Biene in einigen Millionen Jahren diese Druckwerke in der Badewanne lesen wird, sind sie womöglich die letzten Zeugen der Kultur des beginnenden 21. Jahrhunderts. Einer Epoche, als Jahreszeiten noch unterscheidbar waren, die Menschen aber wegen der starken Sonneneinstrahlung langsam die Farbe von Bernstein annahmen. Die Biene wird versonnen auf ihre längst ausgetrocknete Badewanne blicken und daran denken, dass früher alles besser war.
 

 

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