Moment, wir müssen uns gerade ein wenig die Augen reiben. Dort draussen
spielt sich nämlich der Sommer ab, der aber nur ein ausser Rand und Band
geratener Frühling ist. Der Frühling! Zeit des Werdens und Gedeihens. Es
treibt und spriesst, Knospen öffnen sich, Augen tränen, Früchte wachsen,
Fruchtblasen platzen ...
Nun gut. Wir sind tatsächlich etwas überrascht worden. Eigentlich sollte
die erste Betrachtung über den Frühling erst Anfang Mai platziert werden.
Wir hatten wie immer ein Rechercheteam unserer Wissenschaftsredaktion in
Wald und Flur entsandt, empfangen aber bisher nur schwache Funksignale.
Doch soviel scheint sicher: Der jahreszeitliche Umbau der Natur verläuft
nach Plan. Die gemeine Westliche Honigbiene (Apis mellifera) (siehe Bild) betritt die
Bühne der Natur, wie sie es bereits vor 100 Millionen Jahren tat. Sie
liess sich damals nicht von der Tristesse der eiszeitlichen Steppen-Einöde
oder der Debatte um Mindestlöhne beeindrucken, sondern arbeitete ihre
Tagesordnung ab.
 Woher wir das wissen? Nun, die älteste fossile Biene, die Trigona
prisca, wurde eingebettet in Bernstein in den USA gefunden. Der Fund ist
rund 80 Millionen Jahre alt. Diese Biene liess sich damals nach Feierabend
in ihr wohl verdientes Bernsteinbad gleiten. Was dann geschah, muss offen
bleiben. Hatte sie ihren iPod eingestöpselt und traumselig an die Decke
gestarrt? Ist sie bei der Lektüre einer Sonntagszeitung eingeschlafen?
Spürte sie nicht, wie sich der Bernstein hart um ihre zarten Hautflügel
schloss und sie in ein gelbleuchtendes Gefängnis zwang? Wir werden es nie
erfahren.
Was wird man in 20 Millionen Jahren von unserer Zivilisation vorfinden?
Mittelgebirge aus Datenmüll? Mikroskopische Spuren von
Alkoholmischgetränken? Eine versteinerte Dr.-Oetker-Spinatpizza? Um die
Relikte unserer Zeit nicht der Laune des Zufalls zu überlassen, haben wir
gehandelt. Einige der hier veröffentlichen Glossen wurden bereits in
Bernstein eingelegt und im Arzneischrank der Redaktion eingeschlossen.
Dort können sie bis zu 123 Millionen Jahre lang aufbewahrt werden.
Wenn nun eine Biene in einigen Millionen Jahren diese Druckwerke in der
Badewanne lesen wird, sind sie womöglich die letzten Zeugen der Kultur des
beginnenden 21. Jahrhunderts. Einer Epoche, als Jahreszeiten noch
unterscheidbar waren, die Menschen aber wegen der starken
Sonneneinstrahlung langsam die Farbe von Bernstein annahmen. Die Biene
wird versonnen auf ihre längst ausgetrocknete Badewanne blicken und daran
denken, dass früher alles besser war. |