Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (14. Mai 2006)
  

  Gedenktage haben ja in vielen Kulturen ihre Bedeutung. In den Ländern des Ostens begeht man den Tag des betrunkenen Traktoristen, des abgestürzten Kosmonauten oder der verdienten Eisenbiegerin des Volkes. In Deutschland hält sich immerhin noch die Institution Muttertag, obwohl es nur noch vereinzelt Mütter gibt. Deshalb wird es auch morgen so sein wie immer: Junge Männer werden sich stöhnend um 10 Uhr aus dem Bett quälen, zur Tankstelle stolpern, etwas von einem "Strauss halt, möglichst farbig", murmeln, und insgeheim den Preis für acht Rosen in Bier umrechnen. Die Adressatinnen haben in der Zwischenzeitz klammheimlich die Bude des Gradulanten aufgeräumt und ein schmackhaftes Mittagessen vorbereitet.

  Die stolze Tradition des Muttertags ist also völlig heruntergekommen. Das war mal anders: In Deutschland war es 1923 der Geschäftsführer des Verbands Deutscher Blumengeschäftsinhaber, der den Ehrentag mit Plakaten in Schaufenstern ("Ehret die Mutter") bis hin zur Muttertagspoesie den Weg ebnete. Süsswarenhersteller folgten (siehe Bild). Ein Beweis, wie geschmeidig sich die Ökonomie mit der Kultur verbinden kann.



  Heute ist die Mutter entmythologisiert und erfüllt nurmehr funktionale Aufgaben. Von der Politik wird sie bei jeder Gelegenheit in den fürsorglichen Schwitzkasten genommen und mit viel Geld und guten Worten angestupst, endlich die Demografie zu stabilisieren. Dafür müsste sie allerdings mindestens 18 Jahre voraus denken, was in Deutschland seit Bismarck kein Poliiker mehr getan hat. Wenigstens tut die Wissenschaft alles, um den Müttern ihr Dasein zu erleichtern. Moderne Ultraschallgeräte melden bereits pränatal die zu erwartenden Launen und Begabungen des Kindes, ob es zu Alkoholexzessen neigen oder im Ausland studieren wird.

  Die Mütter wiederum verlassen sich auf die Technik und lassen die Dinge laufen. Der jüngste Familienbericht beklagte, dass sie ihre Zeit statt in die Bemutterung der Kinder zu sehr in Freizeitaktivitäten investieren. Wer genau hinsieht, stellt fest, dass sie deshalb soviel Zeit vor dem Computer verbringen, weil sie die Glückwunsch-Grusskarten ihrer Kinder zum Muttertag aus dem Internet herunterladen. Zum Kochen und Vorlesen bleibt da keine Zeit mehr.

 

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