Es
muss so in den späteren 80er Jahren gewesen sein: Melina
Mercouri, legendäre griechische Schauspielerin und Sängerin,
sass in ihrer grosszügigen Athener Stadtwohnung und blickte
in das glitzernde Verkehrsgewühl hinaus. Versonnen steckte sie
sich eine Zigarette an und hing ihren Erinnerungen nach: Filme
wie "Sonntags nie" oder "Topkapi"
hatten sie weltberühmt gemacht, Männer in schmalen Anzügen und
schnittigen Autos, Flughäfen und Leidenschaften, Amouren zwischen
Piräus und Paris - die Koordinaten eines schnellen Lebens.
Die
wunderschöne, wenngleich etwas in die Jahre gekommene Schauspielerin
und griechische Kultusministerin Mercouri blickte also versonnen
hinaus, strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn und erinnerte
sich wehmütig an die alten Zeiten, als Europa noch strahlte
und funkelte. Sechs Zigaretten und einige Telefonate mit ihren
befreundeten Spitzenpolitikern später war alles unter Dach und
Fach: Die Idee der europäischen Kulturhauptstadt war geboren.
Von
Paris mit seinen Theatern und Boulevards über die nordische
Weltoffenheit Stockholms bis hin zur brüchigen Noblesse Lissabons
reicht die Riege des nominierten Metropolen. Zwangsläufig
musste das Augenmerk Europas irgendwann auf die Stadt Essen
(siehe Bild) fallen, in der es zwar keine Boulevards, dafür
mehrere Fischereivereine mit Tagesangelscheinausgabe gibt, ein
Bowlingcenter mit Schützenbahn, Rassehundeausstellungen und
die Walter-Hohmann-Sternwarte. Diese uralte und glänzende europäische
Verwurzelung wurde jetzt mit der Nominierung zur europäischen
Kulturhauptstadt 2010 belohnt.

So
meint man jetzt schon, ein seltsames Funkeln aus den Gewässer
der Ruhr wahrzunehmen. Im Essener Volksgarten (Ottostrasse
63) werden bald Avantgarde-Filmer mit schwarzen Brillen ihre
Projekte diskutieren. Ihre hinreissend schönen Jungschauspielerinnen
drängeln sich derweil um die Auslagen bei Kaufhof in der Kettwiger
Strasse. Der Campingplatz Deichklause wird von fröstelnden Kulturtouristen
bevölkert sein, die zu den Archetektur-Baudenkmälern des Spätbeton-Brutalismus
pilgern. Und am Wildgatter Heissiwald (Rot-, Schwarz- und Muffelwild)
werden Staatsmänner nach anstrengenden Gipfeln ihre Mätressen
treffen.
Melinda kann das alles nicht mehr
erleben - sie starb 1994. Aber Europa, unser altes Europa leuchtet. |