Zugfahrpläne
sind ja eine spannende Sache. Nehmen wir zum Beispiel die
Strecke Moskau - Ulan Bator - Peking. Der Zug Nummer
2 fährt an allen ungeraden Tagen um 15:27 in Moskau ab, kommt
am Tag fünf um 10:18 Uhr nach Ulaan Ude. Zug Nummer 264
fährt täglich um 20:10 in Irkutsk ab und trifft am Freitag
15:33 Uhr in Peking ein. Gesamtstrecke: 7867 Kilometer.
In diesen Zügen sitzend, lässt man sich gerne vom Trommeln der
Räder auf dem Permafrostboden in schläfrige Tagträume versetzen.
Sinnend blickt man zum Fenster heraus, lässt ausgetrocknete
Seen, lecke Ölleitungen und Straflager an sich vorüberfliegen.
Bis dann Punkt 15:33 Uhr der Schaffner den Hauptbahnhof Peking
ausruft.
Es muss auf einer dieser Fahrten
gewesen sein, als der Chinese die Vorteile des Kopiergeräts
kennen lernte. Wer weiss, vieleicht hatte ein Aussendienstler
der Fira Samsung oder Kyocera eine leere Kartusche im Zug liegen
lassen, worauf die Chinesen kurzerhand das passende Gerät vom
Typ "Morgenröte im blühenden Reisfeld" drum herum
bauten. Es blieb zunächst unbeachtet, weil man nicht über kopiertaugliches
Reispapier verfügte. Bis ein wagemutiger Chinese auf die Idee
kam, einfach mal sich selbst auf die Glasplatte zu legen. Das
Beispiel machte Schule: Durch stetes Kopieren stieg die Zahl
der Chinesen schnell auf mehrere Milliarden.
In
Europa, wo Individualität gross geschrieben wird, betrachtete
man diese Entwicklung mit einer Mischung aus Amüsement und Grusel.
Noch vor kurzem träumte man davon, den Chinesen milliardenfach
Autos, Pornohefte und Nierensteinzertrümmerer zu verkaufen.
Jetzt zeigte sich: Kaum ist das Zeug im Land, wird es auch schon
nachgemacht, gefälscht, vervielfältigt. In dieser Woche war
es der Transrapid, jener pfeilschnelle Zug, der in Deutschland
immer im Kreis herumfährt. Kaum nach China verkauft (siehe Bild),
wird er - nicht faul - kopiert. Dem Airbus droht dasselbe Schicksal.
Gegenmassnahmen blieben wirkungslos. Chinesische Markenartikel
wie Gefängnisse, Riesen-Staudämme und gusseiserne Atomraketen
lassen sich auf Grund ihres grossen Formats auf westlichen Geräten
nicht kopieren.

Unsere
Politiker tun ihr Möglichstes, um die Chinesen zu mehr Redlichkeit
zu bewegen. Bisher mit wenig Erfolg. Zwar hatte Chinas Handelsminister
Bo bereits 2004 eine Kampagne zum besseren Schutz geistigen
Eigentums angekündigt. Bis heute weiss aber niemand, ob Bo echt
oder nicht doch nur eine Kopie seiner selbst war.
Eine
Hoffnung bleibt aber: Wenn Airbus und Transrapid kopiert
sind und die Strecke Moskau - Irkutsk - Peking und zurück bedienen,
wird sich die Reisezeit auf dieser Route um mehrere Tage verkürzen.
Der Zug träfe dann so gegen 14:23 Uhr in Peking ein. Zum Fälschen
und Kopieren bliebe dann keine Zeit mehr. |