Eine
Imbissbude im Industriegebiet einer Mittelstadt. Auf dem Grill
glosen zwei Würste vor sich hin. Wurst Nummer Eins zündet sich
nachdenklich eine Zigarette an. "Seit dem letzten Fleischskandal
muss ich jedem Trottel von Veterinär meine Innereien vorzeigen.
Erniedrigend!" Wurst Nummer Zwei wälzt sich gemächlich
auf den Bauch. "Verdammte Hitze hier. Und ständig dieses
Zwicken im Darm." Nummer Eins grinst: "Wird wohl der
Fingernagel sein, den die polnische Aushilfe in der Fleischfabrik
verloren hat." Nummer Zwei grimassiert säuerlich.
Wir
unterbrechen hier, um einen Blick auf das sensible Verhältnis
zwischen Wurst und Mensch zu werfen. Würste gelten bei vielen
Menschen als unbeholfen und tollpatschig, sind aber an und für
sich weitgehend in unsere Gesellschaft integriert. Unmerklich
haben sie im geistigen Leben der Republik wichtige Funktionen
erobert. Viele Intendanten und Kulturpolitiker sind Würste,
bei Schauspielern und Journalisten ist es in den vergangenen
Jahren geradezu Mode geworden, sich in der Öffentlichkeit mit
einer jungen Wurst zu zeigen.
Die jüngsten
Skandale aber haben den Blick für das Schicksal jener heranwachsenden
Würste geschärft, die nicht zur Kultur- und Politschickeria
gehören. Viele von ihnen kommen aus Problemfamilien und haben
kaum Zugang zum klassischen Bildungskanon. Sie werden, noch
nicht einmal volljährig, mit allergieauslösenden und fetthaltigen
Substanzen voll gestopft und müssen anschliessend ihr Glück
in Imissstuben und Garküchen suchen. Von skrupellosen Subunternehmen
ausgebeutet, finden sich viele nach kurzer Zeit faltig und grau
in den Wärmestuben der Caritas wieder.

Gott,
diese Hitze! Wurst Nummer Eins platzt auf. Eine gelbliche, zähe
Masse quillt hervor. Nummer Zwei angewidert: "Gott, du
siehst aus wie ein Schwein." Nummer Eins: "Ich, ein
Schwein? DIe Zeiten sind vorbei. Ich kenne Schweine nur noch
aus dem Fernsehen."
Wurstpolitische
Sprecher mehrer Fraktionen machen vor allem die EU-Osterweiterung
für die Misere verantwortlich. Ostwürste seien fettreicher
und leidensfähiger als deutsche Altersgenossen. Die Wirtschaft
hat dieses Potenzial längst erkannt. Mit denen müsse man nicht
über jeden Bissen diskutieren, meint ein Mittelständler uns
gegenüber. Die junge deutsche Wurst sieht sich um ihre Zukunft
gebracht. Aber was hilft's, klagen Experten: Solange der Verbraucher
billige Importwürste verzehrt, werde sich an diesem Trend nichts
ändern. Die Politik will jetzt handeln: Schlanke, gut ausgebildete
und flexiblere Würste sollen produziert werden, die auf globalen
Märkten bestehen könnten.
Früher Abend.
Der Wursthäcksler läuft auf Hochtouren. Wurst Nummer Zwei sieht
betroffen, wie ihr Bauch in zwölf gleich starke Stücke unterteilt
wird. Ein nach Curry stinkender brauner Niederschlag nimmt ihr
den Atem. "Zwei Schnaps", ruft jemand. Dann verschwindet
sie unter einem Lavastrom aus roter Sauce.
Trotz
aller Skandale hat der Konsum von Wurst in Deutschland so zugenommen,
dass viele Menschen von Würsten kaum noch zu unterscheiden
sind. Die Medizin spricht von Botulismus, nach dem lateinischen
Wort "Botulus" für "Wurst". Wer seinen Partner
verdächtigt, eine Wurst zu sein, solte ihn kurz in kochendes
Wasser werfen. Zeigt der betreffende Anzeichen von Schmerz,
war der Verdacht berechtigt.
Wurst Nummer
Eins drückt ihre Zigarette aus. "Tja, ich glaube, ich muss
dann auch mal." Aus einem bräunlich verkrusteten Spender
tropft Senf auf sie herab. Sie nähert sich dem Gesicht eines
dicken Mannes, in dessen Bartstoppeln Brotkrümmel kleben. Nummer
Eins schreit kurz auf und verschwindet. Stille. |