Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (02. Oktober 2005)
  

  Wenn hier zu Lande von Brüsten die Rede ist, tauchen diese meist in einer Boulevardzeitung und im Plural auf. Die dazugehörigen Geschichten handeln fast immer von sonnenhungrigen Schulmädchen, freizügigen Hausfrauen oder lebensbejahenden Sekretärinnen. Die Brust des Mannes führt demgegenüber ein Schattendasein und dient lediglich als idealisierte Landschaft für die Anlage von Goldketten, durch die einige Schweisstropfen mäandern.

  Seit dieser Woche ist diese Ungleichbehandlung Vergangenheit. Der zuvor weithin unbekannte TV-Moderator Carlo von Tiedemann (siehe Bild) gab zu, er habe sich Fett aus seinen Brüsten absaugen lassen. Zum ersten Mal Mal erschien eine Männerbrust im Plural und wurde dem Weib äquivalent. Mehr noch: Mit der Aufnahme des Kampfs gegen die eigene Erschlaffung hat Tiedemann sich als gelehriger Schüler des Neoliberalismus erwiesen. Das Diktum der neuen Ökonomie lautet nämlich: Werdet schlanker, beweglicher, leidensfähiger! Die Arbeitsbienen der globalisierten Wirtschaft sind nicht mehr dicke deutsche Mittelständler, sondern ausgemergelte Inder und Chinesen, die kein Gramm Fett am Körper haben.



  Weltweit wird abgespeckt und verschlankt. Dem Motto der plastischen Chirurgie gemäss: Form folows nature (die Form folgt der Natur) werden die letzten Fettreste aus der Gesellschaft gepresst, dass es nur so quietscht. Nach Brüsten, Schenkeln und Hängebacken wird es bald anderen Besitzständen an den Kragen gehen. Doppelgaragen, Rentenansprüchen, Gehhilfen. Durch deutsche Strassen werden athletische Globalisierungsgewinner eilen, durch die Bürofluchten und Einfamilienhäuser wird das gurgelnde Geräusch der Fettabsauger dröhnen.

  Dem Ansturm der Inder und Chinesen können wir damit gelassen entgegensehen. Sie werden auf ein Volk treffen, das ausgeruht und immer hungrig ist. Es besteht gewissermassen aus lauter Tiedemanns, die drohend ihre Brustmuskeln massieren. Das hat Folgen: Experten gehen davon aus, dass in wenigen Jahren die Chinesen fett und erschlafft sein werden und ihre Drecksarbeit lieber per Datenleitung nach Deutschland schicken. Dort wird sie von uns bearbeitet. Und damit hätte die Globalisierung endlich ihr Ziel erreicht.

 

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