Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (25. September 2005)
  

  Schaufeln, Kuchenförmchen, Plastikeimer. Diese Utensilien schweben zurzeit wie ein Menetekel über dem politischen Geschehen. Journalisten und sogar Professoren sprechen von Sandkistenspielen, wenn sie nach bildhaften Beschreibungen für den Machtkampf in Berlin suchen. Den Sandkasten als sozialkulturellen Lebensraum umwabert der Geruch von Zank und eitlem Egoismus.

  Nichts könnte falscher sein. EIne Studie unserer Wissenschaftsredaktion zeigt: Wer in der Jugend keinen Sandkasten hatte, zeigt später Lernschwächen, neigt zu zu Autoaggression oder kauft sich einen Geländewagen. Für die Generation 40 plus war der Sandkasten die entscheidende Übergangsinstanz vom Kind zum Erwachsenen. Gerhard Schröder beispielsweise hatte in seiner Jugend zwar Zugang zu einem Sandkasten, besass aber keinen Spielzeugbagger. Erst als erfolgreicher Rechtsanwalt war in der Lage, sich eine dreiachsige Zugmaschine mit Turmdrehkran und Auflieger zu leasen.


  Edmund Stoiber wiederum konnte im feinen Sand einer Wolfratshausener Vorortsiedlung den Grundriss der Münchener Staatskanzlei massstabsgerecht nachzeichnen und geriet ausser sich, wenn ihm ein Spielkamerad mit der Schaufel dazwischen fuhr. Sein Zeigefinger konnte sich bis zu 30 Zentimeter tief in den Sand oder in das Auge des Kontrahenten bohren. Von Angela Merkel weiss man nur, dass sie unter dem chronischen Mangel an Sand in der damaligen DDR litt und wie alle Kinder beim Spielen von der Stasi argwöhnisch beobachtet wurde. Guido Westerwelle wiederum wollte bis zu seinem 18. Lebensjahr überhaupt nicht in den Sand, weil er Angst um seine Krawatten hatte, Dann überliess er den Sandkasten dem Spiel der Marktkräfte und betrachtete anderntags das Resultat der schöpferischen Zerstörung. Oskar Lafontaine kontrollierte genau, ob einige Sandkuchen höher waren als seine. Die schlug er kaputt und ging zufrieden zum Mittagessen.

  Diese prägende Anarchie ist längs Geschichte. Jeder Sandkasten wird heute von geschulten Erzieherinnen überwacht, die abweichendes Verhalten protokollieren und rügen. Spielzeugsoldaten sind verboten, Bagger nur erlaubt, wenn ihre Tätigkeit in ein frühkindlich-geschlechtsneutrales, antiaggressives Lernkonzept eingebettet ist. In den Sandkästen der Zukunft wird es keinen Zank und Zwist mehr geben, auch marxistische Sonderlinge, Bayern und andere Sandler dürfen mitspielen. Mit anderen Worten: Es herrscht Stillstand. Sollten Sie also ein Kind haben, das aggressive oder neoliberale Tendenzen zeigt, setzen sie es sofort in den Sandkasten und warten ab. Meisten verläuft die weitere Entwicklung im Sand.

 

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