Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (04. September 2005)
  

  Frühmorgens in einem Schloss nahe Saarlouis. Ein rundlicher Mann mit unerhört glatter Gesichtshaut zupft sich die Haare zurecht. Gedankenverloren taucht er seine Finger in einen Champagnerkelch und malt einen Namen an den Spiegel. "Katja". Die Schrift verdunstet rasch. Hundert SMS-Mitteilungen hat er gesendet, langstielige Rosen ins ferne Dresden transportieren lassen. Doch Katja bleibt stumm.

  Er streicht sich über die Wangen: Herrlich, diese Haut. Wer in der deutschen Politik hat eine so glatte Haut? "Ihre frische Gesichtsfarbe und ihr Mitleid mit uns Unterdrückten finde ich spitze", hatte ihm eine Anhängerin aus Thüringen geschrieben. Mandy, hiess sie, oder so. Ach, die Frauen. Er hatte sie ja schon satt. Es gab Wichtigeres: Wieder mitzumischen, wieder alles besser zu wissen als diese politischen Zwerge der Konkurrenzparteien. Es läuft gut. Er kann zufrieden sein. Wäre da nicht dieses Zucken der Lenden, dieses Aufbegehren von längst verschütteten Gefühlen. Katja ist schuld, die blutjunge Idealistin aus dem Osten. Was zählt da sein Alter! Seine Haut macht ihn schliesslich Monate jünger. Und er hat, was Jüngere nicht haben: Kreditkarten, uralten Rotwein, Bildung.

  Ein ganz normaler Tag liegt vor ihm: Treffen mit Hartz-IV-Empfängern, Besuch von sozialen Brennpunkten, eine aufrüttelnde Ansprache in einer sächsischen Mittelstadt. Man würde Schnitzel essen, Bier trinken und eng zusammenrücken. Schnitzel und Bier. Er fühlt einen leichten Würgereflex.



  Alles wäre nicht so schlimm, wenn Katja dabei wäre. Wie vor einer Woche. Er hatte eine seiner aufrüttelnden Reden vor deklassierten, graugesichtigen Globalisierungsopfern gehalten. Er stand auf dem Podium, ertrank im Strudel seiner Worte, während die Schweissperlen auf seiner glatten Haut umherirrten. Dann kam Katja, die Vizevorsitzende der neuen Partei. Rote Haare, madonnenhafte Züge und eine fast so reine Haut wie er. Sie sassen nebeneinander (siehe Bild).

  Welche Wärme diese Katja verströmte! Keine Frau, die im Kapitalismus heranwächst, ist so warm. Sie liest Bücher, anstatt sich den Hintern tätowieren zu lassen. Ihre unschuldige Ernsthaftigkeit weckte schwüle Fantasien bei ihm. Mit ihr am offenen Kamin sitzen, ihr die Vorzüge des Barolo gegenüber dem Chianti zu erklären. Ihr die grosse Welt zu zeigen. Und dann ... später ... vieleicht ...

  Das Handy klingelt. Nein, nicht sie. Sein Fahrer mit dem Wagen. Wieder geht es in den Osten, wo viele Katjas darauf warten, von erfahrenen Männern aus dem Westen in die Kunst der Kapitalismuskritik und der Weinverkostung eingeführt zu werden. Der rundliche Mann knotet die Seidenkrawatte. Schnitzel und Bier. Er schluchzt leise.

 

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