Es
muss so im dritten Jahrhundert vor Christus gewesen sein, als
der Arzt Heraphilos die ersten Sektionen vornahm, also
Leichen zum Zweck der Erkenntnisgewinnung aufschnitt. Zum ersten
Mal erkannte man Sehnen und Muskeln, entzauberte das Herz als
profane Pumpe, ahnte die unterschiedliche Qualität der Organe
von Privat- und Kassenpatienten. Heute, nach hunderttausenden
zerschnittener Leichen, wissen wir fast alles über den menschlichen
Körper, weshalb sich die moderne Medizin darauf spezialisert
hat, Apparate und Formulare zu entwerfen und neue Krankheiten
zu entwickeln.
Unter nachwachsenden Medizinern
regt sich allerdings Unmut. Diese Tage protestierten sie
gegen unzumutbare Arbeitsbedingungen (Siehe Bild). Statt die
Leiber von Lebenden und Toten auf der Suche nach dem Ursprung
von Krankheit und Siechtum zu durchwühlen, müssen sie Falldiagnosen
lernen und werden gescholten, wenn sie bei einer Operation ein
teures Messer im Bauchraum vergessen. Ihr Alltag wird beherrscht
vom Diktat der Ökonomie und der Angst, am offenen Patienten
aus Müdigkeit das Gleichgewicht zu verlieren. Am ehesten dem
alten Typ entsprechen noch die Chefärzte, deren blütenweisse
Kittel und vergoldete Stethoskope Würde und Distinktion vermitteln.
Ihre Hand ist ruhig, ihr Schlaf gut, ihr Schnitt golden.

Sie
beobachten amüsiert, wie die Politik seit Jahren am Gesundheitssystem
herumseziert, hektisch das faule Gewebe durchschneidet und
angesichts des Verfalls rasch wieder zunäht, weil sie sich nicht
auf eine Therapie einigen kann. Die Obduktion des Systems wird
später einmal ergeben, dass man bereits im dritten Jahrhundert
vor Christus mit der Behandlung hätte beginnen müssen. Das hat
man genauso vergessen wie die vielen Kranken in den Kliniken,
die in Rumpelkammern und neonbeleuchteten Fluren vor sich hin
dösen. Sie haben daran gewöhnt, keine Fragen zu stellen und
von den Chefärzten bei der Visite mit Verstorbenen verwechselt
zu werden.
Dennoch sind Ärzte mordsbeliebt
beim Volk. Sie stellen den grössten Teil ded Personaltableaus
in Groschenheften und Fernsehserien. Einen Weisskittel würden
die Menschen sofort ihr Kind, wenn nicht ihr Erspartes anvertrauen.
Der europaweit bekannte Hochstabler Gert Postel, ein gelernter
Postbote, arbeitete jahrelang als Oberarzt im Klinikum Zschadrass
bei Leipzig. Er will auf Grund seiner Verdienste jetzt zum Ehrenbürger
dieser Stadt ernannt werden. Eine Entscheidung steht noch aus.
Immerhin: Eine Erhöhung der Mortalität in dieser Zeit ist nicht
bekannt. Offenbar hält der moderne Patient mitterweile mehr
aus, als man denkt. |