Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (07. August 2005)
  

  Es muss so im dritten Jahrhundert vor Christus gewesen sein, als der Arzt Heraphilos die ersten Sektionen vornahm, also Leichen zum Zweck der Erkenntnisgewinnung aufschnitt. Zum ersten Mal erkannte man Sehnen und Muskeln, entzauberte das Herz als profane Pumpe, ahnte die unterschiedliche Qualität der Organe von Privat- und Kassenpatienten. Heute, nach hunderttausenden zerschnittener Leichen, wissen wir fast alles über den menschlichen Körper, weshalb sich die moderne Medizin darauf spezialisert hat, Apparate und Formulare zu entwerfen und neue Krankheiten zu entwickeln.

  Unter nachwachsenden Medizinern regt sich allerdings Unmut. Diese Tage protestierten sie gegen unzumutbare Arbeitsbedingungen (Siehe Bild). Statt die Leiber von Lebenden und Toten auf der Suche nach dem Ursprung von Krankheit und Siechtum zu durchwühlen, müssen sie Falldiagnosen lernen und werden gescholten, wenn sie bei einer Operation ein teures Messer im Bauchraum vergessen. Ihr Alltag wird beherrscht vom Diktat der Ökonomie und der Angst, am offenen Patienten aus Müdigkeit das Gleichgewicht zu verlieren. Am ehesten dem alten Typ entsprechen noch die Chefärzte, deren blütenweisse Kittel und vergoldete Stethoskope Würde und Distinktion vermitteln. Ihre Hand ist ruhig, ihr Schlaf gut, ihr Schnitt golden.


  Sie beobachten amüsiert, wie die Politik seit Jahren am Gesundheitssystem herumseziert, hektisch das faule Gewebe durchschneidet und angesichts des Verfalls rasch wieder zunäht, weil sie sich nicht auf eine Therapie einigen kann. Die Obduktion des Systems wird später einmal ergeben, dass man bereits im dritten Jahrhundert vor Christus mit der Behandlung hätte beginnen müssen. Das hat man genauso vergessen wie die vielen Kranken in den Kliniken, die in Rumpelkammern und neonbeleuchteten Fluren vor sich hin dösen. Sie haben daran gewöhnt, keine Fragen zu stellen und von den Chefärzten bei der Visite mit Verstorbenen verwechselt zu werden.

  Dennoch sind Ärzte mordsbeliebt beim Volk. Sie stellen den grössten Teil ded Personaltableaus in Groschenheften und Fernsehserien. Einen Weisskittel würden die Menschen sofort ihr Kind, wenn nicht ihr Erspartes anvertrauen. Der europaweit bekannte Hochstabler Gert Postel, ein gelernter Postbote, arbeitete jahrelang als Oberarzt im Klinikum Zschadrass bei Leipzig. Er will auf Grund seiner Verdienste jetzt zum Ehrenbürger dieser Stadt ernannt werden. Eine Entscheidung steht noch aus. Immerhin: Eine Erhöhung der Mortalität in dieser Zeit ist nicht bekannt. Offenbar hält der moderne Patient mitterweile mehr aus, als man denkt.

 

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