Wir
stehen hier vor der nahaezu unerfüllbaren Aufgabe, eine anständige
Kolumne zu schreiben. Die Anordnung kam - unter uns - von
ganz oben. Jede Spalte dieser Zeitung, so die Anweisung, muss
sich dem Thema Anstand unterordnen. Keine Beleidigungen, ehrabschneidenden
Äusserungen, keine Zweideutigkeiten, Eindeutigkeiten, Zoten
und Sottisen.
Gut. Mit diesen völlig überflüssigen
Präliminarien haben wir bereits 15 Zeilen gewonnen, ohne auszurutschen.
Aber der Mittelteil einer Kolumne ist erfahrungsgemäss der schwierigste
Abschnitt. Da jeder normale Autor sein Pulver bereits zu Beginn
eines Artikel verschossen hat, flüchtet er sich unweigerlich
in das schützende Reich der Vulgarität und des Zynismus.
Heute geht das nicht. Jede auch noch so kleine Obszönität muss
ausgemerzt werden. Sehen Sie die Flecken auf dem Papier? Gerade
eben haben wir einige schmutzige Gedanken zerquetscht.

Damit
sind wir schon bei Zeile 33. Doch die Luft wird dünn. Denn
worüber schreiben, ohne unanständig zu werden? Politik?
Wirtschaft? Sport? Wo man hinsieht, Unrat und Gammelei. Früher
erkannte man das Unanständige noch an Äusserlichkeiten: Bomberjacken,
Mundgeruch, Protzerei. Heute dagegen kann man sich wie eine
offene Hose benehmen, wenn man nur einen dreitteiligen Anzug
trägt. Allein diese Zeitung bildet noch eine Festung von Vornehmheit,
Stil und Eleganz.
Um dies zu untermauern,
zitieren wir noch rasch Goethes "Wilhelm Meister":
"Man soll alles vermeiden, was gemein ist (...) der edle
Mensch kann sich in Momenten vernachlässigen. Der vornehme nie."
Goethe hat leicht reden. Er wirkte in einer Welt ohne Privatfernsehen,
Dosenpfand, Fussballumkleidekabinen und Hütchenspieler. Er musste
nicht in Fussgängerzonen schlampigen Frauenzimmern und telefonierenden
Wichtigtuern ausweichen.
Unsere Zeitung jedenfalls
trotzt diesem Zeitgeist und wird seinen Ruf, Deutschlands
anständigste Wochenzeitung zu sein, würdevoll und stolz
zu verteidigen: Edle Gedanken, sauberer Satzbau, untadelige
Gesprächspartner. Und damit sind wir endlich bei Zeile 70, Gott
sei Dank. |