Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (06. Februar 2005)
  

  Max Schmeling gestorben, Anderl Heckmair tot. Zwei Männer, zwei echte Sportskameraden, wie es sie heute nicht mehr gibt. Der Boxer starb 99jährig, der Erstbesteiger der Eigernordwand (siehe Bild) mit 98. Das entspricht der durchschnittlichen Lebenserwartung eines Bergvagabunden. Dennoch fragten uns viele Leser, wie man diesen Beruf erlernt. Nur so viel: Voraussetzung ist viel frische Luft und eine fettreiche Ernährung.

  Den Bergvagabunden früherer Tage sagte man eine schlitzohrige Überlebensfähigkeit und brodelnde Vitalität nach. Nun wissen wir zwar beim Anderl nichts über erotische Eskapaden nach dem Vorbild Luis Trenkers, dessen markante Züge sich in den Gesichtern vieler Bewohner der Südtiroler Seitentäler widerspiegeln. Zum Schnaps und zum "Rauch" aber fühlte sich der Heckmair immer hingezogen. Heutige Wellnessjünger schaudern bei der Vorstellung, wie sich der Greis in 3000 Meter Höhe erst mal freihustete, was nicht selten zu schweren Lawinenabgängen ins Tal führte. Von Ayurveda und Obstsalat hatte Heckmair vermutlich nie etwas gehört. Und wie man Gemüse schonend zubereitet, war ihm eh wurscht.



  Dennoch taugt er als Vorbild. "Durch meine geschärften Sinne konnte ich immer wieder in Deckung gehen", sagte er über seine Erlebnisse an der Ostfront. Diese Eigenschaft Heckmairs ist unserer überhasteten Gesellschaft verloren gegangen. Menschen treten in Hundekot, Manager verlieren die Übersicht, Politiker stürzen in Fallgruben, die der Anderl schon in weiter Entfernung gewittert hätte. Und wir Alltagsmenschen müssen täglich Berge von Arbeit überwinden, schwierige Nordrouten auf dem Weg zur Karriere erklimmen und Seilschaften durch die Eishölle der Innenstädte führen.

  Übertrieben, meine Sie? Messungen unserer Wissenschaftsredaktion ergaben, dass Kleinkinder, allein erziehende Mütter oder Journalisten täglich eine ebenso grosse Energieleistung erbringen wie der Anderl am Eiger. Aber das merkt natürlich kein Schwein.

 

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