Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (02. Januar 2005)
  

  Das neue Jahr hat begonnen. Es begann, wie neue Jahre halt so beginnen: Mit Schneeregen und traurigen Strassenbahnen, in denen die letzten Promille der Silvesterfeiern nach Hause geschaufelt werden (siehe Bild).


  Was bringt 2005? Nun, wie jedes Jahr steht auch dieses in der Tradition des Vorjahres. Es wird also keinen neuen Papst geben, aber einige Wahlen, die verloren, gewonnen und analysiert werden ("Können wir noch einmal die Wählerwanderung der 34- bis 45-jährigen berufstätigen Frauen in Städten mit ungerader Postleitzahl einblenden?"). Für die Vorgänge des Lebens, der Politik und der Liebe wird wieder das Bild der Schaukel herhalten müssen. Einem Auf wird ein Ab folgen, Zunahmen werden umgehend vom Schwund an anderer Stelle beantwortet. Diese Schwingung wird Deutschland auch 2005 jene tranceartig Gelassenheit schenken, für die uns die ganze Welt bewundert.

  Am Anfang des Jahres könnten Analysten, Wirtschaftsweise und Trendforscher rückblickend sagen, dass sie sich fast immer geirrt haben. Sie tun das aber nicht, sondern blicken mutig nach vorne. Das sollten die Deutschen auch tun, sagt die Politik. Das Volk folgt aber eher einer Seitwärtsbewegung. Das heisst, sie blicken mutig hinüber zu ihren Nachbarn, dem es noch schlechter geht. In vielen Labors und Gewächshäusern wird an einer Verbesserung des Konsumklimas gearbeitet werden. Sollte dies 2005 gelingen, ist Deutschland gerettet. Doch die Armeen von Konsumenten stehen bisher nur auf dem Papier.

  Auch imm neuen Jahr werden Visionen gefragt sein. Visionen findet man Gott sei Dank recht preisgünstig in jedem gut sortierten Baumarkt. Leitartikler, Politiker und Professoren werden wie im alten Jahr zur Bescheidenheit mahnen, dafür aber noch mehr Worte verbrauchen. Wörter wie Wellness-Oasen, Lohnnebenkosten und Reformbemühungen werden im Zuge neuer Reformbemühungen leider nicht verboten.

  Auch im neuen Jahr werden Menschen zueinander finden, zweisam das Glück suchen und kurz darauf feststellen, dass die Realität nicht ihrer Vision standhält. Dennoch wird es zu Geburten kommen, die in der Öffentlichkeit auf viel Anteilnahme stossen. Der Trend zum späteren Tod hält unterdessen an. Die Politik muss dies tolerieren, fordert aber als Gegenleistung mehr Gesundheit. Der Blutdruck des gesamten Bevölkerung sinkt deshalb um voraussichtlich mehr als zehn Prozentpunkte.

  Den Sommer 2005 wird man daran erkennen, dass es in die Biergläser hineinregnet, was aber meteorologisch betrachtet schon immer so war. Ab September wird die Politik kraftvoll darangehen, ihre Visionen endgültig zu vergessen. Am Ende des Jahres gilt es, Ballast abzuwerfen, das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen und beides links liegen zu lassen. Es werden Menschen des Jahres, Wörter des Jahres, Bilder des Jahres gekürt und neue Visionen entworfen werden.

  Auch unsere Wissenschaftsredaktion hat ihre Visionen für 2005 schon aufgeschrieben, in einem Tresor eingeschlossen, den Schlüssel aber versehentlich links liegen gelassen. Wir könnten sie aber aus dem Gedächtnis noch einmal zusammenschreiben. Grundsätzlich scheint es uns aber sinnvoll, Visionen erst am Ende des laufenden Jahres zu veröffentlichen.

 

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