Wir
waren mal Vorbild: Wie kaum eine Nation hat Deutschland es geschafft,
die Zügellosigkeit des Individuums in christliche Kanäle zu
lenken und unter Kontrolle zu halten. DIese Tradition ist ohne
Not preisgegeben worden. Schmallippige Moralisten und Pfennigpfuchser
sind dabei, die Betriebs-Weihnachtsfeier zu Grunde zu richten.
In
Krisenzeiten ist man ernst. Deshalb sind Firmen-Weihnachtsfeiern,
so sie überhaubt noch stattfinden, nicht mehr Schauplätze lieb
gewordener Peinlichkeiten, sondern Stätten grieskrämiger Korrektheit.
Der Engel des Verzichts schwebt über ihnen. Er hat nichts Barockes,
sondern Untergewicht.
In der Praxis sieht
das so aus: Die Werbeagentur, in der sich sowieso alle duzen,
trifft sich bei einem schicken Italiener (Natürlich trinken
wir dann auch ein Gläschen. Aber die meisten müssen ja noch
fahren). Die Beschäftigten der Steuerprüfung des Finanzamts
entkorken eine Flasche spanischen Sekts und machen lustige Gesellschaftsspiele
(Ein freundlicher Santa Claus trägt zu Beginn eine lustige
Weihnachtsgeschichte vor. Dafür bedankt sich auch jeder fünfte
Teilnehmer mit einem Wiehnachtsgedicht). Die Bankangestellten
feiern nach 17 Uhr und ziehen jene festlichen Anzüge und Bussinesskostüme
an, die sie auch sonst tragen (Natürlich herrscht striktes
Alkoholverbot). Die Internet-Dienstleister blicken an Weihnachten
kurz von ihren Bildschirmen auf und verschlingen ein Stück Tiefkühlpizza.
Von Alkohol haben sie noch nie was gehört. Die Mitarbeiter des
lokalen Autohauses haben beschlossen, keine Weihnachtsfeier
zu veranstalten (Wir spenden stattdessen für ein SOS-Kinderdorf).
Und so weiter.

Mittlerweise
fragen sich auch Kulturkritiker, Feministinnen und Weihbischöfe,
wohin das noch führen soll. Eine Nation, die an Weihnachten
nicht mehr den Mut zur Peinlichkeit findet, hat sich aufgegeben.
Denn die krachlederne Fröhlichkeit, das Gezwitscher und Geschnatter,
die gefühlsduselnde Verbrüderung ist untrennbar verbunden mit
einer optimistischen Grundstimmung. Motto: Wer die besten Autos,
die kompliziertesten Gesetze und die schmackhaftesten Fertiggerichte
produziert, hat wohl das Recht, sich einmal im Jahr mit nacktem
Hintern auf den Kopierer zu setzen. Er muss nur aufpassen, dass
die Glasplatte nicht bricht.
Wir fordern
deshalb die Rückkehr zur klassischen Betriebsweihnachtsfeier
und geben Ratschläge: Duzen Sie jeden, der Sie
anspricht. Versuchen Sie von jedem der angebotenen alkoholischen
Getränke mindestens 0,5 Liter zu trinken. Halten Sie zu vorgerückter
Stunde eine improvisierte Ansprache. Klettern Sie dazu auf einen
Stuhl. Halten SIe sich beim Herunterfallen am Dekolleté der
Kollegin S. fest. Stossen Sie spitze Schreie aus, die zwischen
erotischer Vibration und Ekel changieren (gilt nur für die
Kollegin S.). Wischen Sie möglichst vielen männlichen Kollegen
unaufgefordert den Wein vom Oberhemd (gilt nur für alle Kolleginnen).
Achten Sie beim Trinken darauf, möglichst oft auf dem Kopf zu
stehen. Lassen Sie sich in Raufhändel aus nichtigem
Anlass verwickeln. Beleidigen Sie Ihren Chef und vier bis fünf
Kollegen. (Dazu eine wichtige Information: Nach einem Beschluss
des hessischen Landesarbeitsgericht muss sich ein Chef im Zuge
einer Weihnachtsfeier auch zu vorgerückter Stunde nicht "Arschloch"
schimpfen lassen. Wählen Sie also andere Formulierungen.)
Seine Sie der letzte, der geht. (Betriebliche Weihnachtsfeiern
werden aber steuerlich nicht anerkannt, wenn sie zwei Tage andauern
und eine Übernachtung einschliessen.) Erinnern
Sie sich später an nichts mehr. Bieten Sie augenzwinkern an,
die nächste Feier zu organisieren. Halten Sie sich von der Kollegin
S. fern. |