Es
schneit in Deutschland. Grau wie der Himmel sind die Gesichter
der Menschen nach dem kurzen, krampfhaft aufwallenden Heiterkeitsausbruch
des Karnevals. Der war wie immer: Die Strassenbahnen krochen
wie leuchtende Würmer durch die Stadt und transportierten Pappnasen,
Promille und aussereheliche Verbindungen zu den Plätzen der
Trunkenheit und des Lasters.
Jetzt ist
alles vorbei. Unter dem bleiernen Himmel werden auch die
Gedanken schwer und düster. Sie fallen wie nasse Waschlappen
in die Zeitung, während sie vor Wochen noch quecksilbrig durch
den Kopf tanzten und kaum zum Verharren in dieser Spalte zu
bewegen waren. Draussen entlässt der Himmel die Schneeflocken
wie eine Ausscheidung, sie vereinigen sich mit dem Schmutz der
Strasse und sterben einen ruhmlosen Tod.
So.
Mit diesen inhaltsarmen Reflexionen haben wir schon 26 Zeilen
gefüllt. Zu traurig? Zu pessimistisch? Aber woher soll
denn die rechte Lebensfreude kommen? Vom Himmel etwa? Da! Gerade
taumelt wieder eine dieser schutzlosen Schneeflocken am Fenster
vorbei, als rufe sie um Hilfe.
Schnell, gute
Nachrichten suchen! Mal sehen, was wir da haben: Uschi Glas
wird 60, Daniel Kübelböck kann womöglich nie wieder singen,
Oliver Kahn ist anscheinend doch ein Mensch. Das ist doch schon
was.
Lassen wir's gut sein und freuen uns
auf den Frühling. Bis der kommt, lesen wir spannende Bücher.
Beispielsweise die Biografie von Eugen Loderer, Chef der IG
Metall 1972 bis 1983. Tausend handgeschriebene Seiten wurden
ausgewertet, um der Gestalt eines absolut farblosen Funktionärs
gerecht zu werden. Ein wahres Golgatha der Schriftstellerei.
Damit nicht genug: In einem Düsseldorfer Verlag erschienen jetzt
auf 1429 Seiten die Sitzungsprotokolle des Auswärtigen Ausschusses
von 1957 bis 1961. Ebenfalls neu: Die Geschichte der weiblichen
Reichsabgeordneten von 1918 bis 1949. Leider nur 458 Seiten.
Seit
diese Bücher auf dem Markt sind, hat der Himmel sein Grau
verloren. Schmökernde Menschen sitzen in der U-Bahn und
berichten, auf welcher Seite sie sind. Man lächelt, tauscht
sich aus. Und plötzlich tanzen auch die Schneeflocken wieder. |