Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (29. Februar 2004)
  

  Es schneit in Deutschland. Grau wie der Himmel sind die Gesichter der Menschen nach dem kurzen, krampfhaft aufwallenden Heiterkeitsausbruch des Karnevals. Der war wie immer: Die Strassenbahnen krochen wie leuchtende Würmer durch die Stadt und transportierten Pappnasen, Promille und aussereheliche Verbindungen zu den Plätzen der Trunkenheit und des Lasters.

  Jetzt ist alles vorbei. Unter dem bleiernen Himmel werden auch die Gedanken schwer und düster. Sie fallen wie nasse Waschlappen in die Zeitung, während sie vor Wochen noch quecksilbrig durch den Kopf tanzten und kaum zum Verharren in dieser Spalte zu bewegen waren. Draussen entlässt der Himmel die Schneeflocken wie eine Ausscheidung, sie vereinigen sich mit dem Schmutz der Strasse und sterben einen ruhmlosen Tod.

  So. Mit diesen inhaltsarmen Reflexionen haben wir schon 26 Zeilen gefüllt. Zu traurig? Zu pessimistisch? Aber woher soll denn die rechte Lebensfreude kommen? Vom Himmel etwa? Da! Gerade taumelt wieder eine dieser schutzlosen Schneeflocken am Fenster vorbei, als rufe sie um Hilfe.

  Schnell, gute Nachrichten suchen! Mal sehen, was wir da haben: Uschi Glas wird 60, Daniel Kübelböck kann womöglich nie wieder singen, Oliver Kahn ist anscheinend doch ein Mensch. Das ist doch schon was.

  Lassen wir's gut sein und freuen uns auf den Frühling. Bis der kommt, lesen wir spannende Bücher. Beispielsweise die Biografie von Eugen Loderer, Chef der IG Metall 1972 bis 1983. Tausend handgeschriebene Seiten wurden ausgewertet, um der Gestalt eines absolut farblosen Funktionärs gerecht zu werden. Ein wahres Golgatha der Schriftstellerei. Damit nicht genug: In einem Düsseldorfer Verlag erschienen jetzt auf 1429 Seiten die Sitzungsprotokolle des Auswärtigen Ausschusses von 1957 bis 1961. Ebenfalls neu: Die Geschichte der weiblichen Reichsabgeordneten von 1918 bis 1949. Leider nur 458 Seiten.

  Seit diese Bücher auf dem Markt sind, hat der Himmel sein Grau verloren. Schmökernde Menschen sitzen in der U-Bahn und berichten, auf welcher Seite sie sind. Man lächelt, tauscht sich aus. Und plötzlich tanzen auch die Schneeflocken wieder.

 

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