Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (31.August 2003)
 

  "Klebe mir, Gott, den Mund nicht zu mit Unmut oder mit kindischem Trotzen, öffne, der du die Stammelnden liebst, ihn der geläufigen Rechtfertigung nicht." Der Satz stammt von dem Dichter Rudolf Otto Wiemer, der 1998 im Alter von 93 Jahren starb. Man mag den Tod des Künstlers bedauern, für ihn selbst birgt das irreversible Ereignis den Vorteil, dass er nicht mehr erfuhr, wie seine altersklugen Sätze von nachwachsenen Generationen mit Füssen getreten wurden.
  
Denn die Ausflucht, die "geläufige Rechtfertigung" ist im maulfaulem Deutschland zu einer Blüte gereift, die auch oral weitaus versiertere Völker sprachlos macht. Einst nahmen die Deutschen misstrauisch das Gerede von der Hitze zur Kenntnis, mit dem uns Italiener und Spanier weismachten, man könne vor 16 Uhr keiner Erwerbsarbeit nachgehen. Stattdessen gingen sie unseren blonden Frauen am Strand nach, aber das ist eine andere Geschichte.
  Heute ist in Deutschland die Ausflucht so weit verbreitet, dass sie schon fast in einem
allgemeinen Ausfluss übergeht. Wie anders wäre die entfesselte Kreativität zu verstehen, mit der unsere Athleten bei der WM in Paris ihr sinnloses Umherirren auf Bahnen, in Sandgruben oder Wurfkäfigen verklärten? Als flösse die zuvor im Wettkampf nicht entfaltete Energie aus dem Körper des Athleten, wurden Schlafmängel, technische Mängel, Wettermängel, Publikumsmängel, Klimamängel und andere bisher nicht bekannte Mängel geltend gemacht, um die Mängel in der Ausbeute an Medaillen zu erklären.
  
Stellvertretend sei ein Hammerwerfer mit Namen Kobs zitiert, der nach missglückter Athletik sprach: "Mir haben zwei Meter gefehlt. Ich weiss nicht, wo die geblieben sind." Wir auch nicht, Kobs! Haben die Funktionäre zu wenig Meter nach Paris gebracht? Besteht ein mysteriöser Metermangel in Deutschland?
  Wenn sie zu Hause also den
einen oder anderen Meter finden, den sie nicht mehr brauchen: Her damit und zu unseren Athleten! Wenn die Sportler beim nächsten Mal nicht mehr jedem Meter hinterherlaufen müssen, können sie sich bessere Ausflüchte suchen. In dieser Disziplin sind nähmlich jede Menge Medaillen für uns drin.

 

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